„Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.“- Rosa Luxemburg
~
Ärgerst Du Dich häufig nach Situationen über einen Menschen, grübelst oder gibst Dir vielleicht sogar die Schuld? Malst Du Dir im Kopf oft aus, was Du dem nervenden Kollegen oder dem verletzenden Menschen letztens am liebsten an den Hals geworfen hättest? Aber bleibt es nur bei der Vision? Gehst Du Gespräche wieder und wieder durch, um (wenigstens) in Gedanken die Oberhand zu gewinnen oder jemanden von etwas zu überzeugen? Aber denkst Du Dir meist nur, was Du sagen möchtest, statt es auszusprechen? Verteidigst Du Dich im Geiste gegen alle Vorwürfe und Ungerechtigkeiten, die Du erfahren hast? Diskutierst Du im Nachgang von Gesprächen im Kopf weiter? Aber traust Dich im Nachhinein nicht, die Situation zu korrigieren? Oder überlegst Du Dir, was Du beim nächsten Treffen mit einer Person ENDLICH tun und sagen wirst?
Dann ist dieser Artikel für Dich.
Diese sechs Aspekte können Dir helfen, Deinen Ärger und Dein Grübeln abzubauen:
1. Bist Du Angreifer oder Opfer?
Willst Du Dich wehren, lernen, sanft, aber bestimmt, durchzusetzen oder willst Du weiterhin ertragen oder kleinbeigeben? Vieles von dem, was wir uns im Ärger vorstellen, wäre wenig nützlich für die Situation. Wir hätten uns durchgesetzt, ja, würden uns nicht mehr so klein wie im Ärger fühlen, hätten unsere Größe zurückerobert und gezeigt, wer wir sind und was wir können. Dennoch könnte es zu noch mehr Kompromisslosigkeit bei dem anderen führen oder zu verhärteten Fronten, sogar Abmahnungen oder Kündigungen, Tagen voller quälender Stille, Funkkontakt, heftigen Streitigkeiten, Trennungen usw. Ist man sich der Konsequenzen bewusst und bereit, diese zu tragen, ist das unproblematisch. Hat man jedoch Interesse am weiteren Kontakt oder ist darauf angewiesen, kann ein spontanes, impulsives Handeln leicht zu Schwierigkeiten führen. Das bedeutet keineswegs, dass man zugucken oder ertragen muss.
Es sagt nur: Auf der Schuldseite würden sich die Selbstvorwürfe häufen. Doch statt Gläser und Geschirr an die Wand zu werfen, wild herumzubrüllen oder blindlings die Kündigung oder die Trennung auszusprechen, ist eine klare Position zu beziehen, zu sich selbst, der erste, bessere Schritt. Der Rest geschieht ganz von allein. Dazu ist es wichtig und nötig, dass Du Dir bewusst wirst, was mit Dir geschieht, wenn Du Dich im Geiste ärgerst.
Ärger hat zwei Seiten:
1. die Angreiferseite (Person/Umstand = Angriff & Gefährdung) und
2. die Opferseite (in Gefahr geratene bzw. abseits gestellte Person/Situation).
Ein Beispiel: Du gerätst in eine schwierige Situation, in der Du angegriffen wirst, weil jemand seine Macht, die er glaubt zu haben, über Dich stülpen möchte,
- damit Du tust, was derjenige von Dir erwartet,
- um es sich einfacher zu machen
- und groß zu fühlen.
Statt Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit zu erwirken, nutzt diese Person ihre aggressive Seite gegen Dich.
Aggression bedeutet dann:
Person A verfolgt ein Ziel –> Person A empfindet Person B als Barriere (B hemmt A in seinem Ziel) –> Person A greift an und nutzt emotionale Gewalt und herabwürdigendes Verhalten, zum Beispiel
- Ignoranz,
- offene Machtbegehren,
- Sarkasmus,
- unwürdige Kommunikation,
- Lästern,
- Beschuldigungen oder Anschwärzungen,
- Drohungen,
- offene Ablehnung Deiner Bedürfnisse usw.
als Mittel, um Dir Angst zu machen, sodass Du aus dem Weg von Person A gehst. Wenn Du im Weg stehen bliebest, könnte Person A ihr Ziel schwerer bzw. gar nicht erreichen. Da sich Person A aber so wichtig mit ihrem Bedürfnis nimmt, während sie gewillt ist, Dich und Deine Situation zu übersehen und zu übergehen, wird sie unter Umständen bereit sein, alles zu tun, um ihren Weg blockadefrei zu machen. Jeder stünde im Weg. Du als Angegriffene/r bist nur Zufall.
Allein solche Situationen, sei es in der Beziehung zum Partner, als auch im beruflichen Umfeld oder familiären Kreise, sind überaus ärgerlich und verursachen bei vielen Menschen Zweifel, Unsicherheiten und Ängste. Wir ringen zwischen „So ein Vollidiot! Was glaubt der eigentlich, wer er ist?!“ und „Ja, aber wenn ich das mache, dann wird sicher …. (xyz) passieren und dann …“
Besonders Menschen, die eher geben bzw. harmonisch geprägt sind, von ihrer Natur aus ruhig, besonnen und gewissenhaft, kommen schneller in Kontakt mit Menschen, die Person A ähneln. Betrachte es als Pol und Gegenpol. Weiß und Schwarz. Zwei Polaritäten. Die andere Seite möchte Dir nämlich etwas zeigen und beibringen.
2. Diese Situation ist perfekt für Dich!
Deine Ärgervorstellungen dienen dazu, Deinen Selbstwert zu heben, in dem Du Dich (im Nachhinein) daran erinnerst, dass Du mehr wert bist, als Du in einer ärgerlichen Situation erfahren hast. (In den Augen des anderen sollst Du die Opferposition einnehmen. Die Entscheidung liegt jedoch bei Dir.) Es ist gut, dass Du im Nachhinein im Kopf weiterdiskutierst, denn damit hast Du erkannt, dass Dich der andere Mensch unangemessen oder gar respektlos behandelt hat. Du hast das Recht, denjenigen darauf hinzuweisen, dass er sich falsch verhalten hat. Jeder hat sich einmal in der Vergangenheit unangemessen verhalten und sich eventuell im Nachhinein entschuldigt. Natürlich tun das nicht alle Menschen, ich weiß. Wieso ist also diese Situation perfekt für Dich? Weil sie Dich herausfordert und zwar solange, bis Du die Herausforderung annimmst und einen gangbaren Weg gefunden hast, der Dich zufriedenstellt.
„Gegen Angriffe kann man sich wehren.“ -Sigmund Freund
3. Das Schild in der Hand von Frau & Herr Ärger
Frau und Herr Ärger hält ein Schild hoch, auf dem steht:
- „Bist Du Dir sicher, dass Du das verdient hast?“
- „Bist Du Dir sicher, dass Du das so hinnehmen möchtest?“
- „Bist Du Dir sicher, dass Du Dich so behandeln lassen möchtest?“
Dein Ich sagt Dir, Du darfst zwischen der Position des Angreifers und des Opfers wählen.
4. Opfer werden Täter – Täter waren Opfer
Aber wie alle Menschen haben auch Frau und Herr Ärger zwei Gesichter. Die Angreiferposition besteht aus zwei Seiten:
1a) Man gibt dem eigentlichen Angreifer Recht. Man fühlt sich ohnehin als Opfer, spricht es aber bewusst nicht aus. Man ist sein eigener Angreifer, Feind, sich selbst gegenüber und der andere hält lediglich den Spiegel hin. Man behält seine Angst, seinen Ärger für sich, verneint die Existenz, verneint jegliches Angegriffenfühlen. Und somit auch den Konflikt.
1b) Man wird selbst zum Angreifer und aus Angst, (erneut) Opfer sein zu müssen, geht man auf’s Ganze und spielt Entweder Du oder Ich. Beide wollen ihr Ziel erreichen. Beide mit den verletzendsten Waffen. Beide erlauben sich keinen Mittelweg, der harmonisch und einig verlaufen könnte oder einer der beiden Personen wehrt sich dagegen, sich „geschlagen“ zu geben.
Beide Positionen haben ihre Vor- und Nachteile, wie ich unter Punkt 1 bereits erwähnte. Einen erwähnte ich nicht: Wut bzw. Ärger und damit verbundene Ärgervorstellungen können leicht selbstzerstörerisch werden, wenn wir ihn in uns behalten, sodass wir unseren Körper und Geist damit vergiften, und sogar Panik auslösen. Im Zusammenhang mit panischen Reaktionen spricht man von Fight or Flight: Angriff oder Flucht.
Sei es Schuld oder Ärger: Das Gehirn reagiert mit Abwehr (Totstellen, Ducken) oder Angriffsbereitschaft (der Körper mobilisiert alle Kräfte, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Muskeln werden schneller durchblutet usw. = alles, um auf den Kampf vorbereitet zu sein oder auf den Wutausbruch!). Trockenübungen zählen leider nicht und schaden Dir mehr, als Du glauben magst. Angst und Wut bleibt in uns, wenn wir es unausgesprochen lassen. Je mehr Gift in uns ist oder (Fremd-)Schuld und Wut über andere, desto weniger haben wir UNS, unsere Indentität, unsere Werte und Ziele in uns.
5. Welcher Ärger-Typ bist Du?
Um einen passablen Weg zu finden, wie Du mit Ärger und den damit verbundenen Gedanken besser umgehst, ist es hilfreich, zu wissen, welcher Typ Ärgermensch Du bist. Verena Kast unterscheidet drei Typen:
6. Ärger erkennen, auflösen und abschalten
Es ist nützlich, wenn man einen neuen Umgang mit seinen Aggressionen und seinem Ärger lernt oder auch anerkennt, dass man für seine eigene Angstabwehr gern zu diesem und jenem Schema greift. Jeder macht es anders. Hier folgen nun einige Strategien, die man für sich und ein friedlicheres Gefühl ausprobieren kann:
- Gestehe Dir ein, dass Du Dich ärgerst. Sprich es am besten laut aus: Mich hat XYZ in Situation ABC geärgert. Ich könnte Feuer spucken. Dieser Vollidiot! oder Ich ärgere mich so sehr über mich! (Aber erkenne Deinen Ärger an.)
- Erkenne auch Deine Ärgervorstellungen und Ärgerphantasien: Schmeißt Du Dinge im Kopf an die Wand? Kündigst Du wutentbrannt oder verlässt klammheimlich mit Sack und Pack Deine Beziehung? Brüllst Du und überzeugst Du denjenigen und antworten Dir die Personen in Deinem Kopf oder drehst Du Dich um eine bestimmte Aussage oder Handlung, für die Du immerwährend neue Argumente und neuen Wut aufbringst?
- Finde heraus, wozu Du Dich ärgerst. Ärgerst Du Dich, um Dich (vor Dir selbst) zu behaupten, weil Du Dich in der Situation klein gemacht hast oder nur schwer durchsetzen konntest? Ärgerst Du Dich, um Dich daran zu erinnern, dass Du einen anderen Plan für Dein Leben wolltest? Ärgerst Du Dich, weil Dich der Mensch auch noch mit seiner Angst belastet hat, weswegen Du Dich durch Deinen Ärger daran erinnern möchtest, dass Du die fremde Angst und Hilflosigkeit ablehnst? Oder ärgerst Du Dich, um Schuld von Dir zu weisen, Verantwortung abzulehnen, etc.?
- An welche Situation in Deiner Vergangenheit erinnert Dich die ärgervolle Situation oder die Hauptperson? Es muss keineswegs die erste Situation in Deinem Leben sein, nimm ruhig die erste, die Dir einfällt.
- Akzeptiere für Dich, dass es ähnliche Situationen/Personen gab, die das schon einmal (oder mehrfach) mit Dir gemacht haben. Dann akzeptiere, dass die ärgerliche Situation die Summe von alldem ist, ein prall gefüllter Heißluftballon, der die Schlüsselsituation und alle Menschen, die sich Dir gegenüber so verhielten, ist. Die Fülle an solchen Erlebnissen gibt Deinem Ärger seine Größe und Wucht. Jetzt hast Du erneut die Möglichkeit, Dich anders zu verhalten als sonst, zum Beispiel Dich ruhig durchzusetzen oder etwas zu beenden.
- Verkörpert eine Person einen Persönlichkeitsteil, den Du Dir nicht erlaubst bzw. den Du nicht haben durfest oder solltest? Hättest Du dann beispielsweise weniger Anerkennung erhalten oder weniger Freunde, weniger Geld usw.? Häufig ist das, was uns ärgert, eigentlich das, was wir gern selbst machen wollen würden, oft auch mit den Personen, die uns zum Kochen bringen. Erlaube Dir Deine Wut und Deinen Ärger. Richte sie aber gegen die Situationen und Personen oder gehe kreativ mit Deiner Angst und Deiner Wut um. Schreibe sie auf, mache Kickbox-Tritte in die Luft, gehe joggen oder stelle laut deine Lieblingsmusik an, und brülle alle Wut heraus.
- Wir alle sind sterblich und das Leben ist zu kurz. Lohnt sich der Ärger für diese eine Person? Lohnt es sich für DICH, Dich über einen Menschen aufzuregen und Dir so viel Ärger zu bereiten, dass Du ganz neben Dir stehst und alles Wichtige aus den Augen verlierst? Ein Psychologe namens Otto Kernberg sagte, dass man erst ab 40 Jahren erkennen könne, was wichtig im Leben ist und von da an eher darauf konzentriert sei, Schlechtes von Rechtem (für sich) zu unterscheiden. Ich meine, das geht auch früher schon.
LG
Janett
0 Kommentare