Angst: Vom Sinn und Nutzen eines Gefühls

„Wer seine Angst versteht, versteht sich selbst und die Welt, in der er lebt. Was soll sich ändern, was soll bleiben. Angst beantwortet alle Fragen des Lebens.“

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Sei kein Angsthase! Jetzt hab‘ dich nicht so! Reiß Dich zusammen! Sei nicht kindisch! Werd‘ endlich erwachsen! Benimm Dich nicht wie ein Kleinkind! Du brauchst doch keine Angst zu haben! Memme! Schisser! Hast du die Hosen voll? Sprüche, die verletzen, eineingen, beschränken, zur Veränderung ermahnen, Gefühle verbieten, zur Anpassung auffordern.

Zu sehr wurde den Menschen in der westlichen Welt erklärt, bereits zu Kindertagen, wie man zu sein hat und vor allem, wie nicht.  Immer wieder sind wir mit Angst konfrontiert, sei es mit unserer eigenen oder der Angst der anderen Menschen. Besonders, wenn Wut/Ärger unterdrückt wird/werden soll. Dabei fürchtet jeder irgendetwas oder irgendwen, was Angst in einem auslöst. Angst ist natürlich und lässt sich nicht aussuchen.

Dem Grundgefühl Angst auf den Grund gehen

Angst gehört zu den Grundgefühlen*, auch Basisgefühle, Basisemotionen oder Primäraffekte genannt, und ist somit evolutionsbedingt jedem Menschen angeboren (so wie Freude, Traurigkeit, Ekel, Überraschung). Es gibt nichts vor dem Gefühl, nur Emotionen, die nach dem Auftauchen des Basisgefühls folgen können. Angst, so wie Freude oder Traurigkeit, ist außerdem kulturell unabhängig und dient der Kommunikation bei sozialem Kontakt. Das bezieht sich ebenfalls auf Situationen, in denen man keinen sozialen Kontakt hat, sondern allein ist.young-692119_1280

Angst hat also jeder, ob man es will oder nicht. Leider wollen wir Angst nicht haben, nicht spüren. Sie soll weg, anstatt uns im Weg zu stehen und unsere Ziele zu versperren. Wer fragt sich heute schon, wieso in einem bestimmten Moment seine Angst aufsteigt? Wo sie herrührt? Solange man nicht Knall auf Fall mit krankhafter Angst konfrontiert wird, nehmen wir sie zwar wahr, aber versuchen uns lediglich zu beruhigen, Mut zuzusprechen. Wir nutzen unsere normalen Bewältigungsmechanismen für Angst. Augen zu und durch. Trotzdem einfach weiter (was nicht zwingend immer „falsch“ ist). Konfrontation und Exposition können sehr hilfreich sein, kann aber auch nach hinten losgehen, wenn unsere Angst beispielsweise ein Signal dafür ist, dass wir etwas tun, was wir nicht wollen, sondern sollen, aber nicht hinterfragen.

Der Grundsatz der Angst: Erkenne, was es zu erkennen gibt.

Viele empfinden Angst als ein böswilliges, starkes, ja beinahe unbesiegbares und übergroßes negatives Etwas, das sich weder greifen, noch erahnen lässt. Es taucht aus dem Nichts auf. Es bleibt solange wie es möchte. Es geht erst wieder, wenn es will. Die gesamte westliche Gesellschaft mit ihren zahlreichen psychischen Erkrankungen und Systemen, die solche fördern, versucht Angst als instinktives Urgefühl auszulöschen, wegzumachen, wegzusprechen, wegzudrücken, „wegzustreicheln“. Es soll in die Tiefen verdammt werden, in der Hoffnung, dass es dort begraben bleibt und nie wieder seinen Weg an die Oberfläche findet. Therapeutische Anwendungen implizieren zwar die Angst als nichts „Böses“ per se, aber trotzdem soll sie <<weg>>, indem man übt, sie nicht mehr zu fühlen, indem man tagein, tagaus an sich herumquatschen lässt, man solle dies tun und jenes tun und bald würde dann die Angst wieder verschwinden. Man würde sich daran gewöhnen, dass man trotz des unbehaglichen oder furchterfüllten Gefühls tun soll, was man tun will. Aber Angst verschwindet nicht. Sie bleibt, weil sie ist. Angst zeigt sich, weil sie gesehen werden will, weil man Grenzen überschritten hat oder dabei ist, sie zu überschreiten. Eigene Grenzen. Angst ist lebendig und in der Lage, dazuzulernen sowie Dinge, Menschen oder Situationen neu zu bewerten und sich selbst zu beruhigen. Angst ist ein lebender Organismus. Kein anderes menschliches Grundgefühl nehmen wir so stark wahr, wie Angst.

Wenn du deiner Angst aber sagen würdest, in Rage, sie möge sich zum Teufel scheren und bräuchte nicht hier sein und du alles tust, was dir möglich ist, damit sie ein für alle Male verschwindet und du wieder zu deiner gewohnten Ruhe findest, bleibt sie erst recht. Man kann Gefühle unterdrücken, ja. Aber man kann seine Gefühle nicht per se steuern, im Sinne von: Oh, jetzt freue ich mich! Oh, jetzt bin ich verliebt! Ah, jetzt bin ich aber überrascht! Versuch das ruhig selbst: Schau dir einen Horrorfilm an und lache in einer schlimmen Szene oder tanze wie ein Teenager zu einem ruhigen Pianokonzert. Man kann natürlich mit bestimmten Methoden sein Gehirn trainieren und sich nach und nach daran gewöhnen, dass man alles kann, trotz Panik oder Angst oder anderen beunruhigenden Gefühlen. Aber nicht Angst-schlussendlich, sondern höchstens befreiender, aktiver, kontrollierender und selbstsicherer. Niemand macht aus Angst Freude und aus Traurigkeit Fröhlichkeit. Jedenfalls nicht ohne entsprechende Psychopharmaka, die für die benötigten Botenstoffe in unserem Gehirn sorgen, damit Freude „geschieht“.

Es gibt Gründe für Ängste: Wieso sie auftreten und wozu

Sie wollen da sein und zeigen sich nur aus diesem Grund. Ein Teil in mir signalisiert vor allem, dass dieses zwanghafte Kontrollieren unseres Selbst in sich „falsch“ ist. Es sagt young-691687_1280mir, ich solle und brauche meine angebliche Angst vor etwas nicht kontrollieren, da diese Kontrolle nur noch mehr Widerstände in mir auslöst. Der Gedanke, wir würden über unsere Gefühle herrschen, wir würden den Takt unserer Neuronen und Neurotransmitter vorgeben, wir würden entscheiden, welche Gedanken und Gefühle wir haben, bekommen, wollen, dürfen, trägt etwas Trennendes und Trauriges mit sich. Es nimmt die Freude an der Überraschung, es macht das ganze Wunderbare an der Heilung, an dem Akt des Sich mit sich selbst-Auseinandersetzens und Fühlens vorhersagbar und gelenkt.

Die Erkenntnis und folglich, die Umsetzung, benötigt sehr viel Eigenreflexion und Willenskraft. Je tiefer man in der Angst steckt, vielleicht sogar mit Panik, besonders wenn Traumata dahinterstecken, desto schwerer ist es für den Einzelnen, gerade in Deutschland, sich selbst zu helfen. Das lange und mühsame Warten auf Therapieplätze, wenn einen die Angst „erwischt“ hat, ist zehrend und leidvoll. Aber auch die „kleineren“ Ängste können das bisherige Leben  ins Stoppen bringen; die Angst lähmt. Ein Mechanismen im Gehirn entscheidet schlichtweg entgegen den Gewohnheiten. Angst ist wie ein Virus, der einen befällt, weil man sich nicht geschützt hat und die wenigen Abwehrkräfte, die man noch besaß, hatten nur unzureichende Macht, sich dagegen aufzustemmen. Aber Angst ist keine Krankheit, sondern ein Gefühl, so wie Freude und Überraschung. Angst ist nie Feind, sondern immer Freund. Sie zeigt Grenzen auf und kann Menschen mit Fug und Recht aus dem Verkehr ziehen, sei es aus Beziehungen, Jobs oder familiären Bürden: wann immer du, etwas oder jemand deine Grenzen überschreiten wollte, obwohl dein Gehirn das nicht verträgt.

Eine Anmerkung zu Panik und Angststörungen: Ich bin mir sehr bewusst, dass Angst/Panik als bloßes Gefühl im im Kontext einer klassifizierten psychische Störung außer Kontrolle geraten ist. Nach meiner Theorie bedeutet das, dass es etwas gab, was Sicherheit und Kontrolle aus ihrer Bahn warf. Das kann Stress, heftige Veränderungen, Ärger, eine problematische Beziehung bis hin zu Schicksalsschlägen sein. Nichtsdestotrotz hilft eine Selbstbetrachtung eher als eine von der Erkenntnis abgetrennte Verhaltensänderung (wie es in der Verhaltenstherapie gemacht würde), um sich der Ursachen zuallererst bewusst zu werden. Handelt es sich um schwerwiegende Traumata, ist Therapie das einzig Sinnvolle. Handelt es sich um „normale Lebensbelastungen“, die einen stärker als gedacht mitnehmen, ist das Verstehen und Einsehen der Umstände ein Schritt in die richtige Richtung. Das hilft, zukünftige Handlungen anders, selbstliebender und selbstwertvoller, zu betrachten und eigene Verhaltensweisen stärker zu reflektieren. Im Sinne des Spruches: „Das passiert einem auch nur einmal!“ Wir müssen lernen, was uns schlecht tut.

Die wichtigste Botschaft der Angst

Wenn deine Psyche unfähig ist, etwas zu (er)tragen, wird sie dafür sorgen, dass du nicht damit in Konfrontation gehen musst. Das menschliche Gehirn „tickt“ so: Was du verkraften kannst, kannst du mit Kraft meistern. Wenn du aber Umständen ausgesetzt bist, die deine Psyche und deinen Körper in Gefahr bringen, dann wird es unterbunden. Ich finde diese Erkenntnis sehr beruhigend. Sie sagt:

Stopp. Komm wieder zu dir und akzeptiere, was du leisten kannst und was nicht, wer du bist und was dir möglich ist.

Vor allem aber sagt sie:

Schau mal, das ist deine Schwäche. Hier hast du Schwierigkeiten. Wenn du es dir zutraust, und ich dir zustimme, dann kannst du sie anpacken und überwinden. Falls ich es ablehne, weil es uns in Gefahr bringt, werde ich dich daran hindern. Mit aller Macht.

Und wie mächtig unser Gehirn ist. Wir sind auch in hohem Alter woman-933488_1920noch in der Lage, dazuzulernen und neue Erfahrungen zu machen, die unser Verhalten langfristig prägen. Ab einem bestimmten Alter ist es schwerer, Sprachen zu lernen oder Bisheriges in der Lebensführung „mal eben so“ ganz anders als vorher, zu machen, aber dennoch: Es geht. Wir benötigen nur die neuronalen Verbindungen. Die Wissenschaft nennt das „Plastizität“: Es ist die menschliche, ureigene Anpassungsfähigkeit des Gehirns, die es uns ermöglicht, den Umgang mit etwas zu lernen, weil wir lernfähig sind. Wenn der Wille stimmt.

Bei Angst ist es, wie vorher beschrieben, schwerer, sich dem anzupassen oder sich neu zu orientieren, neu anzupassen, weil wir ja das Alte zurückhaben wollen, uns nicht ändern wollen, uns keiner Richtungsänderung auszusetzen möchten.

Angst fordert zum Richtungswechsel auf

Lerne mit deiner Angst (deinen Gefühlen an sich) umzugehen, aber sieh mehr als nur die Symptome. Sieh, was hinter deiner Angst steckt, was sie dir „nützt“ und erkenne den Kern, die Ursache, das Fundament in dir.

Angst erschafft man selbst, sie kommt aus unserem Gehirn. Wenn dich jemand ärgert oder verletzt, dann ist es deine Interpretation, dass du dich jetzt ärgerst oder jetzt verletzt bist. Es ist deine alte Wunde, eine für dich normale Reaktion auf ein Ereignis, dass dir geschah. Wie du damit umgehst und wie nicht, entscheidest du, im engeren Sinne dein Gehirn, so wie es den Umgang mit solchen Situationen in der Vergangenheit gelernt hat. Unsere Angst kommt von innen, aus uns heraus. Sie ist tief in uns begraben und bei manchen buddelt sie sich metertief hoch, um sich selbst zu befreien. Weil es hart auf hart kommt, zwingt sie uns, zu uns zu stehen und notfalls auch alles und jeden stehen- und liegenzulassen, weil wir ansonsten in eine gefährliche Situation geraten würden. Noch gefährlicher, als alles zuvor.

Unter diesen Gesichtspunkten erscheint beispielsweise Panik in einem anderen Licht. Wenn ich jemanden mit Panik frage, was er braucht, dann kommt ihm oft nur ein Wort in den Sinn: Ruhe. Ruhe bringen sie in Verbindung mit Sicherheit, Alleinsein, Stille, Selbstständigkeit. Ruhe schließt Gehorsam, Fremdbestimmung, Diskussionen, Überredungskünste, und schlussendlich, andere Menschen aus. Das zu verinnerlichen und seinem Körper zu geben, ist eine „Lektion“, die Angst bereithält. Ruhe muss weniger außenorientiert sein. Sie sagt nämlich auch aus, dass man zu viel Ruhe um sich herum hatte, während man zu viel Unruhe in sich (in seinem Kopf, in seinem Herzen) hat, in Form von Grübeleien und Ärger. Sie kann aber auch zeigen, dass man Nähe mit Trennungen in Verbindungen bringt und diesen frühkindlichen Schmerz in seiner Wiederholung vermeiden möchte. Sie kann signalisieren, dass man sich häufig bequatschen und manipulieren, beeinflussen lässt, zugunsten anderer Menschen, meist mit negativem Ergebnis für einen selbst. PANIK! hilft dann, „Nein!“ zu sagen.

Somit ist jede Angst zweideutig. Aber sie will uns niemals etwas Schlechtes. So schmerzhaft, wie ihre Lektionen sich auch anfühlen mögen. Sie will nur unser Bestes.

LG
Janett

Janett

Ausschlusserklärung: Alle Inhalte und Techniken sind gewissenhaft recherchiert bzw. erprobt. Dennoch ersetzt jede hier beschriebene Strategie gegen Stress, Angst und Panik keine professionelle Psychotherapie. Für jeglichen Personenschaden wird keine Haftung übernommen.

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Janett Menzel

Mentorin | Life & Love Design

Schattenarbeiterin, Expertin für Bindungsangst und Kommunikation in Partnerschaften, Emanzipationswunden, transgenerationale Muster, Wer bin ich? Wer will ich sein?, Mutter- und Vaterwunden, Hochbegabung – Hochempathie – Kreativität & Angst. Anfragen und Beratungen >>

 

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