Früher war es einfacher: Wenn man heimlich verliebt war, schrieb man auf die Schulbank des Schwarms kleine Hinweise: „Willst du mit mir gehen, Tim?“ oder „Ich liebe dich, Sofia!“ Dann schrieb die Person zurück: „Wer bist du?“ oder falls aus der heimlichen Liebe bereits eine offene geworden war, genügte ein prägnantes „:-)“ Bei mir in der Schule war es ein Klassiker, mit seinen heimlichen Gefühlen stille Post zu spielen, was ganz sicher zu jemand anderen gelangen würde. Es endete in einem „Hast du schon gehört? Petra steht auf dich!“ (Gekicher). Andere entwickelten ausgeklügelte Strategien, um ihre heimliche Liebe wissen zu lassen, was sie fühlten. Ich warf in meinen mutigen Zeiten Steinchen an das Zimmerfenster meines Schwarms. Liebe war ein Spiel. Es ging nicht darum, das Herz desjenigen zu gewinnen, sondern zu lernen, seine Gefühle auszudrücken. Das Ergebnis des Schwärmens war in den meisten Fällen egal. Zu schnell hatte man einen neuen Schwarm. Außer, es hatte einen so richtig erwischt. So ging es mir, bis er die Schule verließ.
Ich war vier Jahre heimlich verliebt
Von den 34 Jahren meines Lebens war ich vier Jahre heimlich verliebt. Er weiß es bis heute nicht. Es war zu einer Zeit, in der mein Selbstwert so praktisch gar nicht vorhanden war. Ich trug damals Karottenjeans, weite Oberteile, war nicht so „hübsch“ zurecht gemacht, wie die anderen Mädchen meines Alters. Ich fühlte mich hässlich und so unsichtbar, dass ich es nicht glauben konnte, als sich ein Junge aus den höheren Klassenstufen begann, für mich zu interessieren. Er gehörte zu den Attraktiven, hing mit anderen Coolen herum. Er war in meinen Augen so schön, dass ich mich oft gar nicht traute, ihn anzusehen. So jemand wie er, könnte unmöglich so jemanden wie mich mögen (dachte ich). Doch er lauerte mir morgens in der Schule auf, nur um einen Blick auf mich zu erhaschen. Er berührte – ganz zufällig – meine Hand, wenn ich an ihm vorbei ging. Im Bus auf dem Weg zu Schule stellte er sich hinter mich und redete extra laut, extra nett, extra liebenswürdig. Er jagte mir riesige Angst ein. Ich glaubte anfangs, dass das alles nur ein Spiel für ihn sei. Dass ihm die Jagd, das Verliebtsein, mehr interessieren würde, als die Realität, eine Beziehung und ihr Erleben. Ob er wirklich im mich verliebt war oder nur „schwärmte“, wie man das in dem Alter eben tut, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich mich zwei Jahre lang zierte, mit meinen Gefühlen herauszukommen, sie zu zeigen, seine Gefühle zu erwidern. Obwohl ich total in ihn verknallt war. Aber meine Angst davor, verletzt zu werden, wenn ich Gefühle zeige, erschien mir unheimlich. Vor allem Ungläubigkeit bewahrte mich davor, mir meine Angst einzugestehen. Nach zwei Jahren erfolglosem Interesse, verlor er seine Verliebtheit. Er wagte sich an ein Mädchen heran, dass schlanker, älter und in meinen Augen wesentlich schöner war, als ich. Obwohl ich alle Möglichkeiten gehabt hatte, fühlte ich mich in meiner Angst, verletzt zu werden und nicht so wertvoll zu sein wie andere, bestätigt.
Lieber verliebt als ganz ohne Gefühl
Ich blieb noch zwei weitere Jahre in ihn verliebt, bis er sein Abi in der Tasche hatte, und die Schule verließ. Ich hatte mich zwischenzeitlich – mehr aus Trotz, als auch Wahrheit – auch nach anderen umgeschaut, aber mein Interesse verpuffte stets nach kurzer Zeit. Die Wahrheit war: Ich vermisste es, gemocht zu werden, gewollt zu sein. Ich frage mich noch immer, ob mir das wichtiger gewesen war, und ob es den Menschen der Maybe-Generation heute wohl so geht, wie mir damals. Gemocht und geliebt zu werden, gibt einem das unverwechselbare Gefühl, jemand zu sein. In einer Beziehung zu sein aber, macht aus Verliebten schnell nur „Menschen“, mit Fehlern. Zu oft wird man wegen Fehlern verlassen. Genau diese Angst trug ich in mir.
Wenn wir jemanden nicht kennenlernen, aber für ihn schwärmen, bauen wir oft nur ein Trugbild, eine perfekte Illusion der Person auf. Dann lernen wir den Menschen als Mensch und Mann oder Frau kennen und wundern uns. Oder sind enttäuscht von seinen/ihren mangelhaften Partnerqualitäten. Damit das nicht geschieht, wir das Liebesgefühl nicht verlieren, macht das Gehirn manch merkwürdige Sache. Es ist zum Beispiel bewiesen, dass sowohl das Gehirn als auch das Herz Serotonin, ein Glückshormon, und Oxytocin, das Kuschelhormon, nicht nur ausstoßen, sondern auch davon abhängig werden können. Liebe ist für viele Menschen eben eine rein hormonelle Angelegenheit. Wir sind süchtig danach, gewollt zu sein. An seinem letzten Schultag war ich todtraurig. Und danach noch lange Zeit voller Liebeskummer. Ich wusste: Ich hatte alle Chancen vertan, alle Möglichkeiten, geliebt zu werden, in den Wind geschossen. Aus Angst, wenn er mich erst einmal kennenlernen würde, abgewiesen zu werden, so wie ich war, nicht gemocht zu werden. Die nächsten zwei Jahre, bis zu meinem Abitur, blieb mir gefühlt wenig, außer viele ungelebte Träume. Und Reue.
Um mich zu beruhigen, sagte ich mir immer wieder: „Woran hätte ich denn auch erkennen sollen, dass er mich wirklich mochte? Er hat ja nie etwas gesagt, kam nie zu mir, hat mich nie nach einem Treffen gefragt… Alles, was ich hatte, waren subtile Anzeichen und mein Bauchgefühl!“
Unerwiderte Liebe oder: Kann man seinem Bauchgefühl trauen?
Ich kenne also beide Seiten, nicht nur aus meinen Schultagen. Ich hatte heimliche und offene Affären, so wie ehrliche, liebevolle Beziehungen. Ich war heimlich verliebt und wurde heimlich geliebt. Ich weiß: Je älter man wird, umso schwieriger kann es sein. Die Verletzungen haben mit den Jahren zugenommen. So auch die Angst, wieder verletzt zu werden. Anzeichen, dass jemand Interesse an einem hat, zeugt heute nicht mehr von ernsthafter Liebeswürdig- und Beziehungsfähigkeit. Es sagt eventuell etwas über sexuelle Bereitschaft aus, aber selten über tiefere Gefühle. Die Optionalität und das Spiel damit, die Angst davor, etwas zu verpassen, scheint stets im Weg zu stehen.
Früher versuchte man viel mit seinen Blicken zu sagen, sprach eben nicht über Pseudothemen, die nur kaschieren sollten, dass man heimlich verliebt war. Doch heute erscheint es fast wie ein Spiel mit dem Feuer, wenn man „nach mehr“ fragt, mehr als nur eine Option sein will, mehr als nur ein paar oberflächliche Nächte möchte. Von vornherein zu sagen, was man sich wünscht, wenn man jemand Interessanten getroffen hat, ähnelt eher einem „Gehe direkt ins Gefängnis. Gehe nicht über Los. Ziehe keine 4000 Euro ein.“, um es mit den Worten von Monopoly zu sagen. Heute ist es gefährlich, seine Gefühle zu offenbaren. Es droht Abweisung, Abwertung, Scham und … Angst. Also behält man seine Gefühle lieber für sich, verheimlicht sie. Denn: Was wird die Person sagen? Wie werde ich es sagen? Sollte ich es sagen? Was ist, wenn ich abgelehnt werde? Wenn er/sie mich gar nicht mag und ich es mir alles nur eingebildet habe? Was werde ich machen, wenn ich enttäuscht werde?
Auch jemanden darauf anzusprechen, dass er seine Gefühle bereits durch kleine Anzeichen und Gesten offenbart hat, ist brisant. Es droht immer die Gefahr, dass man wie ein Idiot dasteht, wenn derjenige einen abweist. Es fühlt sich in der Generation Maybe so an, wie in einem Geschäft. Die Verkäuferin sieht uns stöbern, erkennt Interesse, kommt zu uns und fragt, legitimerweise: „Kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Statt zu sagen: „Ja, mir gefallen die Sachen sehr.“, sagen wir:
„Danke, nein. Ich schau nur!“ – Das Spiel aus Scham und Angst
Sollten wir nicht ehrlich und direkt sein, wenn es um unser wertvollstes Eigentum geht? Sind Gefühlsbekundungen zu einem Affront geworden? Ja, aber…: Was ist, wenn er mich gar nicht mag und… Obwohl ich mir eigentlich sicher bin. Letztens hat er nämlich… Jeder kennt diese Ungewissheit und die Angst davor, abgewiesen zu werden. Es trifft eben nicht nur verliebte Frauen. Ob es nun der beste Freund oder der Kollege/die Kollegin ist: Die Seifenblase aus nächtlichen Fantasien, wie man sich dann doch noch bekommt, in der Teeküche knutschend neben dem Kühlschrank steht oder man sich (ganz zufällig) irgendwo wieder trifft, ist eben nur eine Seifenblase. In unseren Träumen genügt ein Blick und es ist alles gesagt. In unserem Leben genügt ein Angstgedanke und jedes Liebesgefühl, jede Hoffnung, jede Intuition schweigt.
An welchen Anzeichen man erkennt, dass er/sie einen romantisch mag
Es gibt wohl niemanden auf der Welt, der dir mit Sicherheit sagen kann, ob deine geliebte Person dich zurück liebt. Außer diese Person. Auch die folgenden Signale erwecken nur den Anschein, dass mehr als Freundlichkeit dahinter steckt. Ob derjenige zu seinen Gefühlen stehen will und wird, denn das ist Voraussetzung für einen Anfang, entscheidet dieser Mensch. Folgende verliebte Anzeichen lassen jedoch erkennen und vermuten, dass dein Bauchgefühl stimmen könnte:
- Vertrauen: Glaubt dir die Person eher als anderen? Spricht sie eher mit dir als mit anderen? Fragt sie dich um Rat oder bittet dich um Hilfe? Nimmt sie deine Ratschläge eher an?
- Vorzüge und Gefallen: Tut die Person eher etwas für dich als für andere? Bevorzugt sie dich, wenn auch nur hintenrum?
- Nähe und Kontakt: Sucht die Person auffällig oft deine Nähe? Erweckt es den Anschein, dass sie nur wenige Zeit ohne deinen Kontakt sein kann? Zieht sie die Zeit mit dir extra in die Länge, um den Kontakt nicht beenden zu müssen, nicht erneut ohne dich zu sein? Lädt sie dich zu Unternehmungen, Treffen oder „Zusammenkünfte aller Art“ ein? Will sie dich prinzipiell (fast) überall mit dabei haben?
- Blicke und Berührungen: Ertappst du die Person auffällig oft dabei, dich anzusehen und zu beobachten? Studiert sie deine Bewegungen? Schaut sie dir gern beim Sprechen zu? Kann die Person erstaunlich lange still sein, wenn du sprichst, als würde sie es genießen, dir dabei zuzusehen? Berührt die Person dich, ohne es zu müssen?
- In Gegenwart der anderen: Spricht die Person oft über dich, wenn andere da sind bzw. leitet andere an dich weiter? Will sie anderen erzählen, dass ihr euch unterhalten habt oder etwas miteinander gemacht habt (egal, was)?
Wenn diese Anzeichen auftauchen, empfindet die Person, die dir im Kopf herumschwirrt etwas für dich. Aber das heißt solange wenig, wie es nicht angesprochen, ausgesprochen und weitergeführt wird. Leider sind wir heute oft kein Single mehr, sondern leben mit unserem Partner in Beziehungen mit Familie. Oder andere Hindernisse erschweren es, dass man zusammenkommt, zum Beispiel Berufliches. Jeder muss für sich die Entscheidung treffen, ob er es auf sich beruhen lassen oder es ausbauen will. Lass dein Gefühl entscheiden.
Wie du trotz Angst mit einer bestimmten inneren Haltung zu deinen Gefühlen stehen kannst
Die Scham hält uns davon ab, dass wir zu unseren Gefühlen stehen. Dann noch die Angst, die Enttäuschung verhindern möchte – und meint, zu deinem Besten zu handeln, indem sie dich nicht handeln lässt. Sollte sich hinter deiner Unsicherheit (auch) meine damalige verstecken, ist es ratsamer, sich damit auseinanderzusetzen: Bist du dir unsicher, ob du liebenswert bist? Ist es eventuell so jemand wie meine heimliche Liebe, den ich als für mich unerreicht eingestuft hätte, weil ich mich minderwertig und unsichtbar fühlte? Wie groß ist deine Angst, verletzt und abgewiesen zu werden? Wie gehst du mit Fehlern und Scham um? Sich diese Fragen zu stellen, und so wie ich oben, die Antworten ehrlich und klar zu betrachten, kann Ungleichgewichte in dir aufzeigen und auflösen. Das ist gut. Und vielleicht soll dir diese Begebenheit, diese Person, genau das beibringen? Wer weiß… Wozu auch immer es gut ist, dass du unter heimlicher Liebe leidest: Finde eine Antwort, die dir weiterhilft, weil sie dich weiterbringt. Alles, was dich hindert und blockiert, dich vom Wachstum abhält, darf jederzeit einfach so gehen. Je weniger Barrieren wir in unserem Leben haben, desto leichter lebt es sich. Mir half es in den folgenden Jahren, den Menschen als solchen zu betrachten. Ich machte noch ein paar grobe Fehler, aber irgendwann stellte ich keinen Mann (und Menschen) mehr auf ein Podest oder hatte gar mehr Respekt und Zeit für meinen Gegenüber als für mich. Irgendwann betrachtete ich jeden Mann, den ich kennenlernte, nur noch als Menschen, den ich erst einmal kennenlernen müsste, um zu sehen, ob ich tiefere Gefühle entwickeln würde. Ich verfiel nicht mehr dem Aberglauben, dass jeder Mann, zu dem ich mich hingezogen fühlte, gleich mein „Seelenpartner“ sein müsse.
Ich verstand, dass urplötzliche, heftige Anziehungskraft meist nur bei Menschen geschah, die denselben, ungelösten Anteil von etwas in sich trugen wie ich. Im Laufe der Kennenlernphase spürte ich es auch schnell: Da war ein Mann, dem es egal war, ob ich ihn mochte. Hauptsache, ich war mit ihm zusammen, damit er nicht allein war. Oder ich lernte jemanden kennen, der höchst kontrollsüchtig war, aus Angst, ich könne ihm durch die Hände gleiten und auch ohne Partner glücklich sein. Dann hatten wir noch jemanden, der sich bis heute bei mir meldet, weil er bei seiner Partnerin nicht so sein kann, wie er in Wahrheit ist. Und wir hatten jemanden, der mich sehr mochte, aber zu große Angst vor seinen Gefühlen hatte, um sie sich und mir einzugestehen.
All diese „Macken“ zeigten mir, womit ich kämpfte, gekämpft hatte, was ich noch nicht losgelassen hatte. Jeder kann in sich gehen und schauen, welche Muster bei einem auftauchen, welche alten, vermeintlich gelösten Probleme und Verletzungen wieder getriggert werden. Und sich dann fragen: Was kann ich tun, um sie aufzulösen?
Egal, wie es mit deiner heimlicher Liebe ausgeht: Wenn du eine Abfuhr aus Angst erhältst, kannst du die Sache wenigstens für dich abschließen und weiterleben. Du weißt dann, woran du bist. Das ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Deswegen raten die Menschen auch immer dazu. Das Schlimmste wäre es, wenn du es so machst, wie ich und nichts sagst. Dafür aber jahrelang trauerst.
Oder, so wie ich, nach 18 Jahren plötzlich drei Nächte hintereinander von der Person träumst, weil dein Unterbewusstsein sie noch nicht vergessen hat.
Wenn du die Kraft hast, mach es besser als ich.
Mit den besten Wünschen,
Janett Menzel
Wahnsinn! Danke für den wundervoll geschriebenen Artikel ♥️
Janette, ich danke dir für diesen Text.
Mein Dilemma ist folgendes: in meiner Jugend gab es immer mal wieder getuschel über Mädchen die (angeblich) in mich verliebt seien. Ich hab es oft als ärgern der Mädels empfunden und genauso abgetan.
Darauf gab es unterschiedliche Reaktionen: die Einen machten weiter wie bisher, die Anderen distanzierten sich deutlich.
Und eines Tages wurde ich mal wieder stellvertretend gefragt. Diesmal bin ich (aus heutiger Sicht) dümmlicherweise fern geblieben, nachdem ich eine positive Reaktion zurückgegeben habe.
Ich bereue diese Entscheidung nun schon seit 15 Jahren.
Mittlerweile bin ich studierter Physiker, habe Frau und zwei Kinder. Und dennoch siegt die Rationalität nicht über das hormonelle Ungleichgewicht: Am liebsten würde ich die 444km Distanz zurücklegen und die Schwärmerei endlich richtig kennenlernen…
Im ‚World-weit-Net‘ gibt es selten hilfreiche Ratgeber, wie mit solche Gefühlen umgegangen werden kann. Auch will ich damit keinen Psychologen beschäftigen.
Daher war dein ehrlicher Text sehr hilfreich im Sinne von: zum Glück bin ich nicht allein mit sowas…
Und mit Ehrlichkeit kann man Gewissheit ernten, welche die Seele beruhigt. Es ist mir tatsächlich egal wie eine Begegnung ausgeht, hauptsache Gewissheit!
Noch mal vielen herzlichen Dank 🙂
R.W.