Cybermobbing, in Englisch Cyberbullying, ist das Bedrohen, Bloßstellen und Belästigen einer Person durch meist mehrere andere mittels moderner Kommunikationsmittel (Smartphones/Handys, E-Mails, spezifische Websites, Internet-Foren, Chats und Chatgruppen sowie andere Communities). Im Vergleich zum Mobbing erschaffen technische Hilfsmittel und soziale Medien eine schwere Dynamik: Die Auswirkungen von Cyber-Mobbing sind dabei traumatisierend und somit höchst gefährlich für Mädchen und Jungen. Laut einer Umfrage gaben 9,7 Prozent der befragten Mädchen im Alter von 11-15 Jahren an, schon einmal gemobbt worden zu sein. Bei den Jungen waren es 9,1 Prozent. (1) Ihre Eltern bekommen vom Leid ihrer Kinder oft nichts mit.
Deshalb berichtet die Medienpädagogin Olivia Stranne-Förster* in diesem Gastbeitrag von der alltäglichen Bedrohung, die auch Ihrer Tochter/Ihrem Sohn widerfahren kann. Sie möchte achtsamen Eltern sowie Eltern betroffener/gefährdeter Kinder und Teenager einen Überblick und erste Handlungsimpulse geben, Cybermobbing zu erkennen und seine Kinder vor einer der größten Gefahren des Internets zu schützen.
Wie entsteht Mobbing (Bullying) online?
Mobbing in der Schule und Cybermobbing im Speziellen enden nicht nach Schulschluss: Sie können rund um die Uhr in das Leben der betroffenen Person eingreifen, da jugendliches Leben heute stark im Internet stattfindet. WhatsApp, Snapchat, TikTok, YouTube, Instagram und Onlinespiele sind Orte, in denen die Jugend „abhängt“, sich austauscht und Zeit verbringt. So werden digitale Räume zur Verlängerung des Kinderzimmers, Freundeskreises und Klassenverbundes und bieten Distanz zu Erwachsenen. Deshalb sind sie so attraktiv für die Bearbeitung jugendlicher Entwicklungsaufgaben. Jugendliche probieren sich dort in den Bereichen Identität, Beziehungen, Information, Anerkennung und Orientierung aus. Mit der Dauer-Online-Nachrichtenflut entstehen unter ihnen viel leichter Konflikte, die sich schwerer lösen lassen, verglichen mit Situationen, in denen sie sich gegenüberstehen – also in derselben Rezeptionssituation sind und zum Beispiel die Körpersprache des anderen wahrnehmen können.
Zuhause zu sein, stellt also nicht unbedingt eine Pause von Cybermobbing-Attacken dar. Es werden Nachrichten geschickt, Beiträge in den Social Apps kommentiert oder gar Hasseiten im Internet erstellt. Auch wenn der oder die Betroffene selbst kein Handy hätte, gäbe es keinen Schutz, da es dennoch ein Publikum gibt, das am nächsten Tag in der Schule anders auf den Jugendlichen zugeht, nachdem beispielsweise bloßstellende Fotos in den sozialen Medien veröffentlicht wurden.
Durch Cyber-Mobbing kann das Publikum unüberschaubar groß sein. So schwingen für gemobbte Töchter und Söhne Angst und Unsicherheit mit, dass „alle“ es gesehen haben. Die digitale Distanz, die durch das Mobben über Bildschirme entsteht, macht es den Mobber:innen leichter, anonym und gemeiner zu agieren, weil sie die Reaktionen des gemobbten Mädchens/Jungens nicht direkt sehen.
Einige Fälle von Cybermobbing können in den Augen der Mobber:innen „unbeabsichtigt“ geschehen: Die Jugendlichen können die Auswirkung ihres Handelns oft nicht absehen. Viele verstehen nicht, dass es beispielsweise kein bisschen „witzig“ ist, ein peinliches Foto von einem anderen zu zeigen, geschweige denn, dass es weiterverbreitet wird und eine eigene Dynamik von Cyberattacken gegen die betroffene Person entsteht. Das zeigt deutlich, dass eine einzige Tat genügt, damit eine Welle losgetreten wird. Zu bedenken ist, dass nicht nur die Person, die das Foto zuerst losschickte, Täter:in ist, sondern auch alle anderen, die das Mobbing durch Teilen, Liken und Kommentieren am Leben erhalten.
Wer selbst einmal gemobbt wurde, kann den Wunsch entwickeln, einmal auf der vermeintlich starken Seite zu stehen, und zur Täter:in zu werden. Zwar kommt oft die Erkenntnis, dass es sich gar nicht so gut anfühlt, wie gedacht, hinterher: „Aber wie komme ich da wieder raus, ohne mein Gesicht zu verlieren?“
Cybermobbing am Beispiel von „Nudes“
Ich möchte ein Beispiel von Cybermobbing nennen, von dem meist Mädchen betroffen sind:
Es ist heute Gang und Gäbe, dass Mädchen nach „Nudes“ gefragt werden. Das englische Wort „Nudes“ bezeichnet Nacktfotos, die sich (meist) der Freund des Mädchens wünscht, denn seine Freunde haben schließlich auch nudes von ihren Freundinnen. So lange das einvernehmlich geschieht und beide verliebt sind und die nackt abgebildete Person nicht unter 14 Jahren ist, gibt es kein Problem.
Leider schicken Mädchen Nacktbilder auch oft an Nicht-Freunde bzw. werden diese von oberflächlichen Online-Bekanntschaften angefragt. Noch schwieriger wird es, wenn enttäuschte Gefühle den Wunsch nach Rache aufkommen lassen und sich der/die Ex dazu hinreißen lässt, ein solches im Vertrauen geteilte Foto anderen zugänglich zu machen und mit abwertenden Kommentaren versieht. Jede:r kann sich einfühlen, wie es sich für einen Teenager anfühlen muss, an einem Morgen in die Schule zu kommen, an dem gefühlt jeder dieses intime Foto gesehen hat. Auch welche Dynamik daraus entstehen kann, lässt sich leicht auszumalen: abfällige sexuelle Bezeichnungen, Dauer-Belästigungen für den/die Jugendliche, Ausgrenzung und Verurteilung.
Jugendlichen ist oft nicht bewusst, dass eine Beteiligung am Mobbing ein verstärkendes Verhalten ist, dass sogar Zuschauen und Schweigen eine Duldung des Mobbings darstellt.
Grundstein jeder Prävention: Was man über die heutige Medienwelt und Zeit verstehen muss
Gerade deshalb ist Prävention wichtig. Nicht alle Teenager können Situationen allein durchschauen. Es macht Sinn, selbst Kinder – nicht nur Jugendliche – über Mobbing und Cybermobbing zu informieren, aufzuklären und gemeinsam mit ihnen zu reflektieren. Grundlegend ist, sie in ihrer Lebenswelt abzuholen und diese wertzuschätzen. Sie wurden in eine Zeit geboren, die anders ist, als unsere es war. Sie haben sie sich nicht ausgesucht: Sie wurde nun einmal medial geprägt.
Wir können in unserer erziehenden Begleitung bei diesem Themenfeld nicht darauf zurückgreifen, wie unsere Eltern das bei uns gemacht haben, da unsere Kindheit nicht von mobilen Medien – immer und überall – geprägt war. Hier liegt eine besondere Herausforderung und die Notwendigkeit sich zu interessieren, sich die digitalen Welten, die Kinder und Jugendliche faszinieren, von Anfang an zeigen zu lassen und ihrer Faszination nachzuspüren. Erst dann werden wir wirksam als Ratgeber:innen und Erzieher:innen. Lehnen wir die Aktivitäten unserer Kinder ab – ohne uns für sie interessiert zu haben, uns darin auszukennen oder gar mit unserem eigenen inkonsequenten Verhalten von Mediennutzung zu unterstützen – werden wir unglaubwürdig. Unsere Regeln und Grenzen würden nicht von Kindern/Jugendlichen akzeptiert.
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Auch interessant: Elternratgeber Kinderängste – Mein Kind hat Angst
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Oft identifizieren sich Kinder und Jugendliche so stark mit ihren Medienheld:innen und medialen Aktivitäten, die immer stark emotional geprägt sind, so dass sie sich in ihrem Sein abgelehnt fühlen, wenn wir diese ablehnen. Eltern können ihre Kinder nicht vor den Gefahren des Internets schützen, aber wenn es einen offenen Austausch darüber gibt, was Ihr Kind im Internet erlebt, können Sie da sein, begleiten, immer wieder einen Dialog anbieten. Vertrauen ist natürlich die Grundlage dafür. Wenn ich ein Handyverbot fürchten muss oder andere Strafen, ist es unwahrscheinlich, dass ich mich anvertraue.
Prävention: Was kann man als Außenstehender, Lehrer oder Elternteil gegen Cybermobbing tun?
Datenschutz- und Privatsphäreeinstellungen bei Apps
Mein Haupttipp ist: Nehmen Sie bei der Einrichtung einer neuen App Datenschutz- und Privatsphäreeinstellungen vor, sodass nur die Kontakte des Teenagers Inhalte sehen können, die über die App veröffentlicht werden. So begrenzen Sie die Reichweite und vermeiden, dass das Kind seine Inhalte hinaus in die Welt schickt.
Melde- und Blockierfunktionen
Weiter gilt es, Melde- und Blockierfunktionen zu kennen – für den Fall, dass andere Nutzer:innen unangemessen kommunizieren. In WhatsApp-Gruppen können einzelne User:innen zwar nicht blockiert werden, aber man kann die Gruppe verlassen, wenn man sich dort unwohl fühlt. (Leider bleiben Jugendliche lieber in solchen Klassengruppen, auch wenn sie dort gemobbt werden, denn die Gruppe zu verlassen, würde für sie den kompletten Ausschluss bedeuten.) Das Selbstvertrauen und den Mut des Teenagers zu stärken, kann solch sinnvolle Abgrenzungen stets unterstützen.
Umgang mit Mediennutzung in der Erziehung
Schon mit Beginn von Mediennutzung, also oft im Kleinkindalter, kann man Kindern vermitteln – und ihnen vorleben -, dass man mit Fotos von anderen nicht machen darf, was man will. Man muss fragen, bevor man ein Abbild eines anderen weiterverbreitet oder ein Foto, das jemand geknipst hat, im Klassenchat teilt. Diese Bild- und Persönlichkeitsrechte zu kennen, ist essentiell, denn gerade darum drehen sich oft Fälle von Cybermobbing. Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene haben meist den Eindruck, dass alle alles teilen und man mit Fotos im Netz beliebig alles machen könne.
Rechtslage
Ja, viele Menschen verhalten sich genauso, aber das Erstaunen ist oft groß, wenn klar wird, dass hier Gesetze gebrochen werden, die zum Teil hohe Strafen nach sich ziehen. Dass es dabei Grauzonen gibt und die Gesetze nicht mit der rasanten Entwicklung der neuen Technologien mithalten können, sollte ebenso thematisiert werden. Es sollte aber klar sein, dass es sich hier nicht um ein Kavaliersdelikt handelt, sondern oft Straftaten vorliegen. Natürlich sind Jugendliche nicht voll strafmündig, jedoch wollen sie selbst wissen, was Recht ist und was nicht. Oft ist das Thema „Strafgesetzbuch“, wenn man mit Jugendlichen über Cybermobbing spricht, der Teil, der sie am meisten beeindruckt – vielleicht gerade, weil sie in ihrer Lebenswelt viel Mobbing mitbekommen.
„Kenne deine Rechte“ ist auch ein Schritt, Heranwachsende zu stärken. Beispielsweise Drohungen, Beleidigungen, Verleumdungen, üble Nachrede, Nachstellung, Erpressung und Identitätsdiebstahl sind allesamt Straftaten, die mit Geld- und Freiheitsstrafen geahndet werden. Es gibt und braucht also kein eigenes Cybermobbing-Gesetz.
Soziale Kompetenzen schulen
Sozialkompetenz und Zivilcourage sind Fähigkeiten und Grundhaltungen, die nicht erst gelernt werden können, wenn Cybermobbing auftritt, sondern die von Anfang an Teil von Erziehung und Bildung sein müssen. An vielen Schulen gibt es bereits Sozialkompetenztrainings. Es macht Sinn, hierbei die digitalen Kommunikationsräume mitzubedenken. Auch im Netz gilt es, das Eigentum des anderen zu achten, Grenzen zu respektieren und respektvoll miteinander umzugehen. Die Klassenregeln gelten nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch im Klassenchat.
Die größte Herausforderung ist es wohl, Kinder und Jugendliche dafür zu sensibilisieren, Empathie trotz digitaler Distanz empfinden zu lernen. Dafür muss man sich vorstellen können, wie der andere an einem anderen Ort zu einem anderen Zeitpunkt auf meine Nachricht reagiert. Vielleicht kommen meine Ironie und mein Augenzwinkern nicht so rüber, wie ich sie gemeint hatte, oder meine neckische Nachricht wirkt nach einem stressigen Schultag und Ärger mit den Eltern hart und beleidigend. Wir können uns nicht in alle Möglichkeiten hineindenken, aber uns sollte bewusst sein, dass der andere weniger Informationen rund um die Nachricht hat als wir – und wir alle wissen, dass besonders knappe SMS-Kommunikation zu Ärger und Missverständnissen führen kann.
Probehandeln in Rollenspielen: Verhalten üben
Hilfreich ist es auch, konkrete Mobbing-Situationen durchzuspielen. Oft wissen Jugendliche rein kognitiv, was okay ist und was nicht, aber oft verbinden sie dieses Wissen nicht mit ihrem eigenen Handeln. Kleine Rollenspiele oder daran angelehnte Gedankenspiele, in denen man sich selbst in die Situation versetzt, entwickelt Empathie für andere.
Ohne käme vielleicht auf die Frage, „Was würdest du tun, wenn ein:e Mitschüler:in am Morgen, nachdem sein/ihr Nacktfoto im Klassenchat veröffentlicht wurde, in die Schule kommt?“ nur ein Achselzucken und die Aussage „Selber schuld“. Formuliert man es anders, haben Jugendliche einen entsprechend anderen Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und den möglichen Gefühlen anderer:
„Stell dir vor, du wärst verliebt gewesen, hättest dich hinreißen lassen, ein Nude zu schicken, obwohl dir dabei unwohl war. Und nun hat dein:e Ex dein Bild veröffentlicht und du kommst in die Schule und alle starren dich an.Wie fühlst du dich? Was würdest du dir wünschen?“
Von Antworten wie „Mir ist schlecht. Ich will sofort wieder nach Hause und nie wieder in die Schule“ bis zu „Ich wünsche mir, dass mir jemand beiseitesteht, zumindest meine Freunde“ habe ich schon vieles gehört. Es ist wichtig, dass Jugendliche verstehen, dass genau sie dieser Freund oder diese Freundin sein können, die eine:n Betroffene:n durch eine solche Situation begleitet, dabei unterstützt, sich auszusprechen und Hilfe zu holen, damit das Mobbing schnell endet. Die Integrität der Person muss wiederhergestellt werden, um lebenslangen psychischen Schäden vorzubeugen oder gar das Leben zu retten. Denn Suizid ist keine Seltenheit bei Mobbing-Opfern.
Bleiben Sie achtsam und helfen Sie Kindern und Jugendlichen, sich zu schützen.
Damit Sie gut mit Ihren Töchtern in Kontakt bleiben, hilft es, sich über ihre Lebenswelten zu informieren, die sich hinter Handybildschirmen verbergen. So können Sie eventuelle Sorgen konkreter benennen, präventive Gespräche führen und die Onlineaktivitäten Ihres Kindes wertschätzen und Gefahren erkennen. Besonders Letzteres braucht es, um von den Jugendlichen ernst genommen zu werden, sollten sie sich in den Abgründen sozialer Netzwerke verirren oder gar unter ihnen leiden.
Über Olivia Förster-Stranne
Olivia Förster-Stranne ist studierte Erziehungswissenschaftlerin und Medienpädagogin. Seit 2011 hält sie in Hamburg, Norddeutschland und online Vorträge, Workshops und Projekttage für und mit Kindern und Jugendlichen, Pädagog:innen und Eltern zu medienpädagogischen Themen. Präventiv und praktisch arbeitet sie zu Themen wie Medienpädagogik in der Kita und in der Grundschule, virale Lebenswelten von Jugendlichen, Cybermobbing und Gewalt im Netz, Big Data sowie gesunde Mediennutzung. In den letzten Jahren widmete sie sich heranwachsenden Mädchen, um sie in viralen Lebenswelten zu begleiten und dabei zu unterstützen, zu Frauen heranzuwachsen, die in einer gesunden Beziehung zu sich selbst, ihrem Körper, ihrer Sexualität und zu anderen stehen.
Quellen
(1) Statista. Anteil der Kinder und Jugendlichen, die wiederholt Opfer von Mobbing geworden sind, in Deutschland nach Alter und Geschlecht im Jahr 2014. Abgerufen am 21.06.2022. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/218728/umfrage/mobbingopfer-unter-kinder-und-jugendliche-nach-alter-und-geschlecht/
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