Durch meine Arbeit treffe ich viele Frauen, die sich scheuen, sich zu trennen: von ihrem Partner, ihrer Partnerin, ihrem Job, ihren Ansprüchen als gute Mutter und als tadellose Freundin. Sie betreiben zehrende Selbstversuche zwischen Familie, Partnerschaft, Haushalt und Job, um allen und allem gerecht zu werden. Sie beklagen mangelnde Anerkennung, Leere, Kraftlosigkeit, Freudlosigkeit und vor allem: Angst.
Bevor ich mit meinen Erlebnissen fortfahre: Es ist höchstwahrscheinlich, dass sich im folgenden Blogpost das Wort „Frauen“ spielend leicht mit dem Wort „Männer“ austauschen lässt.
Das leidige Loslassen und seine verborgenen Hiebe
„Los! Lass es sein!“ Welche Angst dahintersteckt, ist ihnen klar: Trennungsangst. Die sitzt so tief und ist gleichzeitig so verbunden mit der Angst davor, allein zu sein. Nicht zwingend, weil sie dann niemanden bei sich hätten, sondern weil sie sich allein behaupten müssten. Mit der Angst davor, zu scheitern, einen Fehler zu begehen, unterzugehen, sich mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen. Auch eine sehr große Frage ist:
Was bleibt denn von dem, was man sich schuf, wenn man sich davon wieder trennt?
Einige Frauen beklagten fehlende Lösungskompetenz und ein geringes Selbstvertrauen. Weil sie es nicht gelernt hatten. Oder auch, weil sie es im Laufe der letzten Jahre wieder verlernt haben oder gar sollten.
Sie beklagten vor allem, dass sie die Angst, sich selbst zu entdecken, nicht aufgeben möchten, weil sie tatsächlich sich und ihr Selbst entdecken könnten: mit allem, was sie die letzten Jahre freiwillig ertrugen und wogegen sie nicht angingen. Und dann die Reue. Schuld sich selbst gegenüber. Depressive Momente als Antwort auf ein tiefes Loch (was auch vorher da war).
„Ja, du darfst dich mit dir selbst beschäftigen. In dir gibt es sicher mehr, als das, was dir überdrüssig geworden ist, z. B. echte und eigene Gefühle. Echte Bedürfnisse. Echte Ziele. Eigens gewollte Handlungen, manchmal auch Kampf.“
„Aber diese Unwissenheit, Ziellosigkeit und Angst!“ sagten sie meist.
„Du traust dich nicht, etwas für dich zu wollen?“
„Es würde X verletzen.“
Stille.
Vom lästigen Alltag und seligen Schein
Doch nicht nur die Angst, jemanden, der sie liebt, zu verletzen, nagt an ihnen. Es ist die Wucht und die der Konsequenz der kleinen Dinge, die auf ihnen lasten:
Ehen, die mit viel Mühe und Not ertragen werden, um die Familie zu erhalten; Familienmitglieder wie Mütter und Väter, aber auch Geschwister, die geschont werden, um nicht die echten Gefühle auf den Tisch packen und Tacheles reden zu müssen; die unbefriedigenden Jobs, die nur ein wenig Geld einbringen, aber die Seele zerfressen, weil die Anerkennung ausbleibt; heimliche Affären, die im Hintergrund die wahre Nahrung für das weibliche Herz liefern.
Die Frauen, die ich treffe, lassen eine Art Gefängnis zu, einen ganz heftigen, engen Wirkungskreis mit entsprechend enger Eigenwirksamkeit und geringem Erfolg, nehmen Panikattacken in Kauf, die nur vom Kampf gegen sich die eigenen Werte berichten, sind müde und kraftlos, leer und oft gleichgültig, weil nichts hineinkommt, was nährend ist. Sie haben gelernt, dass es so sein muss, wenn X erhalten werden soll.
Und die Ängste ihrer Arbeitgeber, Partner, Partnerinnen, Kinder sagen: „Erhalte X!“
Ja, sie haben Angst, sich selbst zu behaupten, einen Strich unter die aktuelle Rechnung zu ziehen und das Eine zu machen, wonach sie sehnen: ein Leben zu leben, das ihnen Freude bereitet, anstatt Kopfzerbrechen und Angst, um jemand anderen nicht zu verletzen, nicht die Böse zu sein, nicht die Unartige und Maßlose, Unbequeme oder Eigensinnige oder schlechte __________ (Platz für deinen eigenen Gedanken).
Und dann merkte ich:
Ihre Angst sagte auch:
„Erhalte dich! Ich bin nur da, damit du merkst, an welcher Stelle es eng für uns beide wird! Die Panik ist nur da, um dich zurückzuhalten, im Guten, wie im Schlechten. Sie kommt, wenn du nicht gegen X angehen sollst. Als wäre sie ein Zeichen deines Mannes, deines Jobs, deiner Familie, deiner Mutter und so weiter. Sie leben in dir. Sie sind das unsichtbare Band, das aus Panik dafür sorgt, dass du im gewohnten Kreisel bleibst. Sie kommt, wenn du trotzdem gegen X angehen willst. Und sie wird erst gehen, wenn du mit erhobenem Kopf, Brust raus, Schultern zurück, lächelnd sagst: Ich mach’s trotzdem. Ich gehe. Zu mir.“
Erstaunlicherweise kennen alle Frauen, mit denen ich Kontakt hatte, ihre Hürden und Herausforderungen sehr genau. Sie haben die Lage erkannt und die Notwendigkeiten eruiert. Sie haben ihre Situation und die Zukunft haarscharf durchleuchtet und die kleinsten Ecken und Kanten ausgemacht. Ich traf jedoch keine Frau, die den letzten Schritt ging und die Katze aus dem Sack ließ, sanft lächelnd sagte:
„Ich habe nachgedacht: Die letzten Jahre waren ein guter Versuch, aber ich mag nicht mehr!“
Sich zu trennen, ohne einer anderen Partei die volle Schuld zu geben, braucht viel Eigenreflexion und Mut. Vor allem aber benötigt es Liebe. Wenn die nicht mehr vorhanden ist, weil man alle Grenzen um Kilometer überschritt, bleibt einem nur noch der selbstsichere Weg, der – wie ein Stoßgebet gesprochen – wiederholt werden muss:
Ich habe es versucht, aber ich schaffe es nicht mehr. Weil ich mir etwas anderes gewünscht hatte. Weil das, was ich eigentlich wollte, nie um die Ecke kam. Weil ich mich aus dem Blickfeld verloren habe. Weil es nur noch um XYZ geht, aber nie mehr um mich. Ich mag nicht mehr. Weil ich wieder möchte, dass es in meinem einzigen Leben (auch) um mich geht.
Sie wissen: Sich zu trennen, heißt nicht: Ab jetzt wird es geil!
Sich zu trennen heißt auch: Trotzdem trauern und nach der Trauerarbeit den Kopf heben und die Welt mit ihren Möglichkeiten neu erkennen. Und sich an dem, was war, erfreuen können, so wie sich an dem, was sein wird, zu nähren.
Man braucht Träume, um Stoßgebete sprechen zu können. Man braucht Liebe, um den Weg zu sich zu gehen. Liebe zu sich selbst.
Man muss sich mögen.
Die meisten Frauen, die ich traf, möchten sogar das Wort „mögen“ mit „können“ ersetzen. Die meisten Frauen nahmen (und nehmen) lieber eine Depression, eine Angst- oder Panikstörung in Kauf, damit nicht der Eindruck entstünde, dass sie eigene Bedürfnisse haben, die sie sich zugestehen und verwirklichen möchten. Der Gedanke, dass viele Frauen die Beziehung, den Job usw. als Garanten ihres Selbstwertgefühls sahen, rief die Erinnerung an die Worte der tollen Psychologin Verena Kast wach:
„Viele Menschen reagieren auf dieses Gefühl des Unwertseins mit einer Depression. Wenn Menschen uns Schutz bieten [Anmerkung von mir: auch der Job, Besitz, Geld, für uns wichtige Werte usw.] und wir diese […] verlieren, dann reagieren wir mit einer Panikstörung. Wenn ein Mensch uns aber den Selbstwert garantiert hat und wir diesen Menschen verlieren oder wir fantasieren, ihn zu verlieren, dann reagieren wir mit einer Depression.“
Ich konnte jede einzelne Frau verstehen. Jede mit jeder noch so kleinen Angst, die sich dahinter verbirgt. Ich kenne die Angst davor, allein zu sein, allein zu bleiben, Fehler zu machen, zu scheitern, zu versagen (vor sich und den anderen), niemanden zu haben, der einem Rückhalt bietet und das doppelte Netz mit fünffachem Boden gesichert hat (oder jederzeit könnte), völlig selbstverantwortlich tagtäglich sein Leben zu leben, niemanden mehr beschuldigen zu können, wenn es einem schlecht geht und auch nur sich selbst reflektieren und interpretieren zu können, anstatt jemand anderem umzuerziehen, in der Hoffnung, dass es einem dann besser ginge. Ich kenne die Angst vor Arbeitslosigkeit, Armut, Abhängigkeit und alles, was einem das Leben so an Lästigem mitgegeben hat.
Und was damit in Verbindung steht: die Angst vor Selbstbestimmung, finanzieller Freiheit, emotionaler Unabhängigkeit, völliger Selbstkontrolle und tiefem Bewusstsein, Macht und Eigenständigkeit. Totale Freiheit. Denn meist ist das im Kopf verknüpft mit Schuld und Scham, als dürften wir es nicht wollen, als ginge nun X auf unser Karmakonto.
Was schlummert da in dir?
Lies die folgenden Sätze und fühle in dich hinein, was mit dir geschieht und wo am meisten Widerwille in deinem Körper hochkommt. Und wo huscht dir ein heimliches Lächeln über die Lippen? An den Momenten wirst du merken, was du dir wirklich (insgeheim) wünschst und auch, wie viel Wut in Form von Rachegelüsten du in dir trägst:
Ja, ich brauche dich nicht. Ich habe nur so getan.
Der Preis ist zu hoch. Ich wollte, dass es funktioniert. Aber ich werde diesen Preis nicht mehr zahlen.
Ja, ich bin besser dran ohne dich.
Nein, es tut mir nicht leid.
Ja, ich liebe mein Leben jetzt. SO sollte es sein.
Ja, es fühlt sich gut an, niemanden zu haben, der mir die Welt erklärt. Ich kann es ALLEIN.
Ich bin erwachsen. Ich brauche nicht mehr wie ein Kind behandelt zu werden. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen.
Ja, es ist schön, mal von niemandem gebraucht zu werden. Ich brauche mich selbst so sehr.
Ich weiß ganz sicher, dass ich toll bin. Ich wünsche mir Menschen und Umstände in meinem Leben, die mich täglich daran erinnern.
Ja, ich weiß, dass dich das verletzt, aber ich tue es für mich.
Ja, das war/ist Absicht.
So wie du, bin ich ein Mensch, der Freude und Zufriedenheit verdient.
Ja, ich habe Angst, aber weißt du was? Ich mache es trotzdem.
Nein, ich will dich nicht verletzen, aber ich habe die Wahl zwischen MIR und DIR. Ich kann dich nicht schonen. Ich schone mich. Und deshalb wähle ich auch mich. Das ist die beste Wahl, die ich treffen kann.
Ich verstehe deine Lage, aber ich fühle mich dafür nicht verantwortlich. Es ist nicht meine Aufgabe, dich zufrieden zu machen. Dein Glück ist deine Aufgabe. Mein Glück ist meine.
Nein, jetzt ist Schluss mit Opferrollen und Kleinhaltetaktiken. Ich weiß, was ich kann. Ich weiß, was ich brauche.
Diese Sätze ließen sich auf alle Lebenslagen übertragen. Auch auf Jobs. Je nach Situation steht und fällt es mit seinem eigenen Anspruch, es anderen oder sich selbst rechtzumachen.
Wie schonungslos bist du? Lebst du das Leben, das ein anderer Mensch für dich möchte (und damit für sich)? Oder lebst du das Leben, was du immer für dich wolltest, auch wenn das hieß, dass du unweigerlich jemanden verletzen musstest, aber dafür dich retten konntest? Hast du einen ehrlichen und offenen Weg gefunden, beides miteinander zu vereinbaren? Ich freue mich über deinen Kommentar!
Liebe Grüße,
Janett
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