Jeder möchte gemocht werden, akzeptiert und integriert werden, Teil einer Gemeinschaft sein, sich mit und bei anderen Menschen wohlfühlen, angenommen und geliebt werden oder wie Clarke und Beck in Ängste bewältigen – ein Übungsbuch: Lösungen aus der Kognitiven Verhaltenstherapie schreiben:
„Uns allen ist wichtig, was andere von uns denken. Es ist völlig normal, von anderen […] sogar bewundert werden zu wollen. Von Menschen, die uns etwas bedeuten, Komplimente, Lob und positive Rückmeldungen zu bekommen, fühlt sich toll an, während Kritik, Zurückweisung, Ablehnung und negative Rückmeldungen schrecklich sind. Am unangenehmsten, wenn nicht sogar traumatisch, ist das Gefühl der Beschämung. Jeder Mensch kennt diese Emotionen. Wir geben unser Bestes, um ja keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Machen wir uns nichts vor – wir alle möchten dazugehören, uns angenommen fühlen, teilhaben.“ (S. 223)
Dies ist besonders ein Thema für alle, die sich in sozialen Situationen eher unsicher fühlen und sich häufig in Verbindung mit anderen oder fremden Menschen große Gedanken machen, was diese wohl über einen selbst denken: über unsere Worte und unsere Handlungen. Konflikte können allein durch den Umgang mit Menschen hervorgerufen werden, was man sagte oder tat, kann leicht zu einem beschämenden, peinlichen Moment werden, in einem Teufelskreis aus Grübeleien enden. Bei Betroffenen der Sozialen Phobie folgt oft die Vermeidung von zwischenmenschlichen Situationen: Sie können nicht aufhören, darüber nachzudenken, was andere/fremde Menschen über sie denken. Ihre Gedanken sind oft sofort negativ. Man erwartet bzw. denkt sich das Schlimmste, fühlt sich unbeholfen und gehemmt, aus Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun, sich zu blamieren oder nicht zu gefallen. Man probt im Vorfeld Gesprächssituationen, um auf vieles, wenn nicht alles, vorbereitet zu sein, ja keinen Fehler zu machen. Hat man die Situation hinter sich, denkt man dennoch an die Situation zurück und entwertet sich nachträglich. Wie Clark und Beck beschreiben, ist die Angst in sozialen Situationen eine häufige Nennung bei vielen anderen Ängsten bzw. Angststörungen. (S. 224) Gleichzeitig aber tritt eine leichte bzw. milde Form dieser sozialen Unsicherheit ziemlich verbreitet in der Gesellschaft auf. Aber je mehr man sich bemüht, vor anderen alles richtig zu machen und sich nicht zu blamieren oder schlecht abzuschneiden, desto mehr erreicht man vom eigenen Gefühl her das Gegenteil, schreiben Clarke und Beck.
Heutzutage erscheint es vollkommen verständlich, jedenfalls in meinen Augen, dass das Bewertungssystem der westlichen Gesellschaft mit dem Internet und besonders mit den sozialen Medien und all den gestreuten Idealen von Perfektion, Schönheit, Gesundheit, Erfolg und Anerkennung in jedem Menschen – wenigstens hin und wieder – Ängste auslösen. Jede Trennung einer Beziehung und jeder Jobverlust führt dazu, dass man sich abgelehnt fühlt und man in solchen Momenten an sich und seinem Wert zweifelt. Aber auch kleinere Vorkommnisse, wie Konflikte oder Dispute in Freundschaften, Familie, Beziehungen sowie im Beruf können einem Menschen das Gefühl geben, weniger wert zu sein als andere, wenn nicht sogar enttäuscht zu haben. Fortan vermeiden wir diese Momente, in denen wir zwar klar eine Meinung haben, aber sie uns nicht trauen, auszusprechen, um nicht erneut in einen Konflikt zu geraten, der abwertende Spuren hinterlassen könnte.
Julia Onken, renommierte Psychologin, schrieb 1994 das Buch Vatermänner: Ein Bericht über die Vater-Tochter-Beziehung und ihren Einfluß auf die Partnerschaft und spricht darin über sogenannte Gefalltöchter. Ich hatte vor ein paar Wochen Kontakt mit Frau Onken und fragte sie, was sie von einer Erweiterung ihres Begriffs hielte: von Gefalltöchtern zu Gefallsöhnen, kurzum: Gefallmenschen.
Gefallmenschen: Ich gefalle, also bin ich!
Wenn Gefalltöchter laut Julia Onkens Definition die Frauen sind, die die Aufmerksamkeit ihres Vaters ergattern wollen, in dem sie „Menschen nachahmen, die in der Lage sind, das väterliche Interesse zu wecken“, um „auf der Bühne des Beachtetwerdens endlich die männliche Resonanz zu erregen“, „in dem es irgend etwas Verführerisches veranstaltet, damit es endlich von ihm, den es so innig liebt, ebenfalls zurückgeliebt und in seinem ganzen Mädchenwesen erkannt und wertgeschätzt wird“ (S. 85-88), dann ließe sich für Gefallmenschen sagen:
Sie sind Menschen, die andere nachahmen, um deren Interesse zu wecken und von ihnen beachtet zu werden, in dem sie irgend etwas Herausragendes veranstalten, damit sie endlich zurückgeliebt und in ihrem ganzen Wesen erkannt und wertgeschätzt werden.
Während aus Gefalltöchtern „zukünftige Verführungsfrauen“ werden, werden aus Gefallmenschen zukünftige Rechtmachmenschen. In beiden Fällen ließe sich sagen, dass wir unser Verhalten jemandem anpassen. Wir sind besonders „brav“ bzw. gehorsam und fügig oder engagiert, interessiert und wohlgefällig. Wie Gefalltöchter, die „hundert kleine Liebesdienste erweisen“, erweisen Gefallmenschen ähnliche Rechtmachdienste. Wenn Gefalltöchter, die so aufwuchsen, erwachsen sind, sind sie laut Julia Onken sehr beliebte Frauen/Menschen. Sie registrieren sofort, was ein Mann sich von ihnen wünscht, welche Bedürfnisse er hat, kennen Menschen/Männer meist aus dem FF, „während ihr die eigenen [Bedürfnisse] völlig unbekannt sind“. (S. 87) Dasselbe gilt für Gefallmenschen.
Kommt dir das bekannt vor? Mir kommt das sehr bekannt vor. Unsere heutige Gesellschaft erzieht sich brave und liebe Kinder so hin, füttert sie dermaßen mit Angst als Motivation und Strafabschreckung, bildet sie aus, um dann später hoffentlich erfolgreich in die Gesellschaft integriert zu werden, in ein gesellschaftstaugliches, heimeliges, erfolgreiches, schönes, gesundes und vor allem – angstbesetztes – Leben. Ich stelle mir ernsthaft die folgende Frage: Ist der Entzug von Liebe und Anerkennung das Mittel schlechthin, was Angst auslöst? Geht es allen Betroffenen von Angststörungen, vielleicht sogar Depression, in Wirklichkeit so wie den Gefalltöchtern, die Julia Onken beschrieb? Und falls ja, wie geht man wieder auf Anfang, auf null zurück, um sich wiederzufinden?
„Denken Sie daran: Nettsein ist eine längst überholte Strategie.“
In einem Harvard Business Manager Beitrag von Amy Jen Su steht dieser Rat, den ich vortrefflich und auf den Punkt genau finde. Ich zitiere ihn einfach mal, weil ich es kaum hätte besser ausdrücken können. Nettsein ist out. Nettsein ist zu oft eine Art und Weise, um sich selbst schlecht und klein zu machen, damit sich andere weniger klein und schlecht fühlen. Das ist nett, aber ganz ehrlich: Kennst du jemanden, der dir diesen Gefallen täte? Ich eher weniger, nur ein paar wirklich sehr enge Freunde würden mir diesen Gefallen tun. Die meisten anderen Menschen in meinem Leben wären erst einmal das Gegenteil: Auch sie möchten nicht fühlen, dass sie gerade weniger wertgeschätzt sind, weil sie mir ihre Meinung sagen, die ich nicht teile und zu dem auch noch kontere. Sie fühlen sich beleidigt, wenn ich ihre Meinung nicht teile, sondern eine eigene Meinung habe, die gegen ihre Interessen geht. Etwas vollkommen Normales kann leicht zu einem Konflikt werden.
Und wer hat nicht bereits einen Menschen getroffen, der ganz selbstverständlich davon ausging, dass man so denkt, wie er/sie und sich die Situation plötzlich anfühlt, als hätte man etwas Verbotenes/Unaussprechliches/Illegales getan, nur weil man anders oder gegensätzlich denkt? Oder Menschen, die im schlimmsten Falle sogar abwertend die andere Meinung belächeln, einen stehenlassen und gar den Menschen mit der unterschiedlichen Sichtweise komplett abzutun? Nicht etwa im Sinne der Verwunderung, sondern im Sinne des: „Wie jetzt? Du denkst anders? Was fällt dir eigentlich ein?“
Übersehen werden = Schmerz
Julia Onken führt dies bei Gefalltöchtern auf „die schmerzenden Wunden des Übersehenwerdens“ (S. 87) zurück, die in der Kindheit durch ein Gefühl des Nichtexistierens und Fehlerhaftseins hervorgerufen wurde. Alles nur, weil sie die Anerkennung des Vaters wollten, aber natürlich nicht immer und partout erhielten (oder sie komplett ausblieb), und sie dementsprechend meinten, sie würden weniger oder gar nicht ernst genommen werden und sich das Gefühl der Ablehnung einstellte. Fortan würden sie versuchen, äußerlich aufzufallen bzw. zu gefallen oder aber durch ihr angepasstes und wohlfälliges Verhalten zu bestechen, um die alten Wunden nicht wieder aufreißen zu sehen. Den Schmerz von damals nicht noch einmal fühlen müssen.
In der heutigen Gesellschaft laufen wir sicher jeden Tag an Menschen vorbei, die sich gern mehr Liebe und Aufmerksamkeit von ihren Eltern oder Freunden gewünscht hätten, die genau solche Bedürfnisse hatten, aber sie selten gestillt wurden, was noch immer in ihnen schlummert oder aber sie wurden durch einen Konflikt, der besonders schmerzvoll „ausartete“ oder einfach nur unangenehm genug und mit Konsequenzen auffiel, sie in eine ihnen peinliche und beschämende Situation gedrückt haben. All das soll in der Wiederholung vemieden werden: „die uralte Wunde: so wie ich bin, bin ich mangelhaft.“ (S. 87) Julia Onken drückt es in ihrem Kontext sehr hart aus, aber meines Erachtens trifft es dennoch bei vielen Menschen heute im erwachsenen Leben den „wunden“ Punkt. Es ist die Angst, dass andere einen für mangelhaft halten, ablehnen, auslachen, belächeln, stehenlassen, ausgrenzen, nicht ernst nehmen, nicht mögen, nicht lieben, verlassen.
Wie eine ausgelutschte Zitrone – Vom Be-nutz-twerden, Ge-nutz-twerden und der Nutzlosigkeit dahinter
Wer gebraucht wird und gebraucht werden will, ist selten allein und findet in seinem Umfeld Menschen, die bedürftig sind oder aber etwas von einem brauchen (mindestens solange, wie wir bereit wären, dieses Etwas freiwillig zu geben). Ich musste neulich in einer anderen Situation über etwas Ähnliches nachdenken. Bei manchen Menschen, die meine Nähe wollen, um etwas Bestimmtes zu erreichen (nicht zwingend etwas Negatives), reagiere ich leicht mit Panik, ohne in dem Moment zu realisieren, was hier gerade geschieht. Ich merke nur: „Stopp! Dir etwas geben zu müssen, macht mir Angst!“ Es ist immer die Art und Weise des Anspruchs. Bei etwas Egoistischem bin ich aber leicht bei: Weg mit den fremden Ansprüchen!, ohne eigenen inneren Antrieb, ist dann meist meine erste Reaktion. Dabei vergesse ich häufig, dass diese Menschen nur von mir gemocht werden möchten, was ich oft erst im Nachhinein erkenne und schon mitten in der Situation aushebeln könnte, wenn ich genug Distanz hätte.
Amy Jen Su rät ebenfalls zu einer ähnlichen Distanz, wenn auch im beruflichen Feld. Sich von seiner Meinung zu distanzieren und sich objektiv die Bedürfnisse der Situation, die nötigen Schritte zum Ziel, anzusehen und danach zu handeln, nimmt die Emotionen „raus“ aus der verletzenden Situation. Auch Forderungen zu stellen, ist dabei völlig normal und legitim und sogar hilfreich, wenn man im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation klar sagt, was man b) fühlt, wenn eine Situation a) ist und was man aber c) eigentlich benötigt, weshalb man seinen Gegenüber um d) xyz bittet.
(Im Beitrag Prüfungsangst: Trotzdem Kritik üben habe ich das Gesprächsinstrument genauer an Beispielen beschrieben.)
Sonst kommt es leicht, dass man „je älter ich werde, umso weniger bin ich“ erreicht, wie Onken es beschreibt, und man Fehler entweder in seinem Verhalten sieht und sucht oder aber auch in seinem Aussehen, in seinen Worten, in seinem Selbst. So würden wir „verbissen ein Leben lang gegen vermeintliche Mängel kämpfen“ und unser negatives Selbstbild baut sich immer mehr und mehr auf. Selbstbewusstsein und -wert kann nur vorhanden sein, wenn man den Bezug zu sich selbst und seinen Zielen im Leben aufrechterhält. Stets darum bemüht zu sein und nichts zu scheuen, damit man es anderen aus Angst vor Konflikten und eventuellen „Schuldzuweisungen“, Ablehnungen und Ausgeschlossenwerden rechtmachen kann, kann langfristig nur dazu führen, dass man tatsächlich eine starke soziale Phobie entwickelt oder aber man sein Leben lang damit beschäftigt ist, sich selbst zu entbehren, ohne seine Ziele zu erreichen. Stattdessen hält man Leid durch Beeinflussbarkeit aufrecht. Von wie vielen Situationen würden wir wirklich mit Bestimmtheit sagen können, dass Ablehnung das Ergebnis unserer eigenen Meinung ist? Bei wie vielen dieser ablehnenden Menschen würde es uns wirklich stören? Wie viele ablehnende Menschen mögen wir überhaupt noch, wenn sie uns einmal abgelehnt haben? Ist es nicht eher so, dass der Verlust um die Person oder einer gewissen Nützlichkeit die Situation erschwert, nicht aber unsere eigene Meinung?
Und auch die Angst vor Trennung vs. Angst vor Selbstverlust kann damit nur weiter geschürt werden. Daher finde ich Amy Jen Sus Ansicht, jeden Konflikt als etwas Förderliches für das Geschäft/Freundschaft/Beziehung etc. anzusehen, in dem man in kleinen Schritten zu offenen Gesprächen und mehr Individualität in Gemeinschaft geht, sehr wohltuend. Das entspricht dem schönen Motto: Jeder Konflikt ist ein Schritt zu mehr Frieden.
Um es mit Byron Katies Worten zu sagen: „Es ist nicht die Aufgabe der anderen Menschen, dich zu mögen. Es ist deine Aufgabe.“
Liebe Grüße,
Janett
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