Manchmal erschreckt es mich, dass die Psychologie es so treffend weiß, uns Menschen in Kategorien einzusortieren. Auch die Transaktionsanalyse (kurz TA), entwickelt von Eric Berne, befasst sich mit menschlichen Mustern, nämlich: Wie das, was wir klugerweise als Kinder lernten, glaubten und taten, von uns als unbewusste Entscheidung ins Erwachsenenleben hineingetragen wird. Und dort allerhand Probleme macht. Gemeint sind Glaubenssätze, zum Beispiel nicht genug zu sein, nicht wichtig, intelligent oder fähig genug. Ein weit verbreiteter Glaubenssatz ist der: „So, wie ich bin, bin ich nicht okay.“
Viele Coaches und andere Experten denken, dass Glaubenssatzarbeit allein ausreichen würde, um angemessene Selbstachtung und Selbstvertrauen zu säen. Doch in Wahrheit müssten sie nicht an den Sätzen, sondern an dem verborgenen Plan dahinter arbeiten. Denn mit den Sätzen fing es nicht an und hört es nicht auf. Sie zu verändern, hält nur kurzzeitig und greift meist nie so tief, um den Gedanken, nicht genug zu sein, für immer ablegen zu können.
Die TA betrachtet deshalb ein unbewusstes Lebensskript des Menschen und markiert diesen Lebensplan mit den bekannten Skriptglaubenssätzen. Dahinter verbergen sich auch Skriptentscheidungen, innere Antreiber, denen wir folgen (Sei perfekt! Jetzt hab‘ dich nicht so!) und natürlich unsere Bedürfnisse, die wir früher wie heute haben.
Menschen, die glauben, nicht genug zu sein, teilen ein Grundgefühl
„Das Grundgefühl, nicht genügend akzeptiert zu sein bzw. nur dann gemocht zu werden, wenn man anders wäre, das heißt, bestimmte Bedingungen erfüllt“, unterliegt diesem Lebensplan, schreibt Almut Schmale-Riedel im Buch der Woche: Der unbewusste Lebensplan.
Das Zitat zeigt: Weil wir dazugehören wollen, verlieren wir uns im Gedanken, durch angepasstes Verhalten gewollt und geliebt zu werden. Deshalb leiden Männer und Frauen lieber unter negativen Beziehungen, statt sich vom Partner zu trennen oder bleiben lieber in einem Job, in dem sie sich zermürben müssen, statt proaktiv einen besseren zu suchen.
Früher wollten wir das Andere, weil wir es wollen mussten, unsere Eltern nicht enttäuschen und ihren Anforderungen gerecht werden wollten. Das erzeugte natürlich Unmengen an Anpassungsdruck, nährte aber vor allem das Gefühl, dass unsere eigenen Wünsche und Interessen mit den Erwartungen anderer aneinandergeraten würden. Alle Kinder machen dann den Fehler, ihre Bezugspersonen wichtiger zu nehmen, als sich. Und das hält mitunter ein Leben lang an, wenn wir es als Erwachsene nicht selbst korrigieren.
Kinder wie Erwachsene müssen in ihrem (geringen) Selbstwert und ihrer (geringen) Selbstständigkeit gefördert werden, statt im „Das hast du gut gemacht, das hast du schlecht gemacht“-Schwarzweißdenken. Sie werten sich sonst im weiteren Leben ab, um eine Auseinandersetzung vermeiden zu können, wenn sie die Ansprüche von außen einmal nicht erfüllen können oder wollen.
Aber nicht nur besonders streng erzogene, sondern auch überbehütete Kinder, denen kaum Grenzen aufgezeigt wurden, lassen sich durch Kritik schnell einschüchtern. Ich weiß das sehr genau, weil ich so aufwuchs. In der Tat war meine Frustrationstoleranz lange sehr gering, weil mich meine Mutter sehr antiauthoritär erzogen hatte. Wen wundert es, dass ich bei kleinsten Signalen der Ablehnung sofort meinen Selbstwert neu definieren wollte oder meinte, mich verstellen zu müssen, um mit meiner Andersartigkeit nicht aufzufallen? Zu sich selbst bedingungslos zu stehen, will gelernt werden. Ein kleines Stück Arbeit, das sich ordentlich lohnt.
Die Angst, nicht genug zu sein, bringt besonders Probleme im Job (Leistung bis zur Erschöpfung, unkollegiales Verhalten aus eigener Angst) und in einer Beziehung (starke Eifersucht durch angsterfüllte Vergleiche, übermäßiges Geben und Klammern bis hin zu Angst vor Nähe und Liebe im Allgemeinen). Wenn wir unseren Wert nicht kennen und schätzen, stellen wir ihn entsprechend oft infrage. Das verleitet dazu, dass wir uns nicht gern zeigen, so wie wir sind, uns nicht zu freuen trauen, wenig bis gar nichts annehmen können, meinen, immer erst leisten zu müssen, als müssten wir uns Liebe und Anerkennung verdienen. Wir wollen uns vielleicht noch perfekter machen oder schauspielern uns durchs Leben, übernehmen uns und ignorieren unsere Grenzen, „in der Annahme, dann o. k. zu sein, weil wir dann nicht mehr angreifbar sind“, schreibt Schmale-Riedel.
Unsere verborgenen Skriptglaubenssätze und Skriptentscheidungen sind zum Beispiel:
- Ich hätte kein Mädchen/Junge sein sollen.
- Ich bin nicht normal.
- Mit mir stimmt etwas nicht.
- Ich darf nicht zuviel wollen.
- Ich darf nur leisten, aber nichts und niemanden beanspruchen.
- Ich bin allein.
- Ich muss mir selbst Trost spenden.
- Ich muss mich anstrengen, um geliebt/anerkannt zu werden.
- Am besten ist es, wenn ich perfekt bin. Dann kann auch keiner meckern.
- Ich darf keine Probleme machen.
- Ich bin nicht gesund.
- Ich bin hässlich.
- Mit meinem Körper ist etwas nicht in Ordnung.
- Es ist besser, wenn ich mich nicht zeige, so wie ich bin.
- Besser ich verstecke mich.
- Ich bin etwas Besonderes, aber keiner merkt es.
Kinder, die mit dieser Skriptentscheidung aufwuchsen, hätten sich oft von ihren Eltern (und späteren Ersatzpersonen im Erwachsenenleben) gewünscht, dass sie in den Arm genommen werden, ihre vermeintlichen Schwächen zeigen dürfen und in ihrer Traurigkeit nicht allein bleiben müssen. Sie hätten sich Zuspruch und Aufmunterung gewünscht, Sätze wie „Du bist hübsch.“ oder „Ich bin stolz auf dich.“ Sie scheuen im späteren Leben Vergleiche, weil sie innerlich immer schlechter abschneiden, unbewusst aber ziehen sie die Vergleiche zu Personen. Sie wollen jedoch tief in ihrem Inneren als einzigartig wahrgenommen werden – so wie alle Menschen einzigartig sind und etwas Schönes in sich tragen. Doch ihre Glaubenssätze werden begleitet durch den inneren Kritiker, den Schmale-Riedel als Antreiber bezeichnet. Die Stimme sagt dementsprechend so etwas wie „Streng dich an!“, „Reiß dich zusammen!“ oder „Sei perfekt!“ und „Mach es recht!“
Frauen und Männern, denen es so geht, schlagen sich oft mit der Angst herum, entdeckt zu werden, und sich dann zu schämen, weil sie angeblich nicht genug sein würden. Es ist die Angst davor, minderwertig zu sein und nicht auszureichen. Es droht Verlust, man würde nicht mehr dazugehören. Meistens handelt es sich aber um eingebildete Mängel und Fehler, wie Schmale-Riedel berichtet.
Wie wir dem Gedanken, nicht gut genug zu sein, entfliehen können
Vereinfacht gesagt, müssen wir lernen, dass wir genügen und okay sind, so wie wir sind. Eventuelle Bewertungen durch uns selbst, aber auch Interpretationen durch andere zu erkennen, und dann die Auswirkungen auf uns zu sehen, hilft schon als Impuls zur Kampfansage.
Übungen, die das Selbstvertrauen stärken, wie das bewusste Erinnern an Situationen, in denen wir so, wie wir sind, Erfolg hatten, können zusätzlich helfen. Schmale-Riedel empfiehlt auch reale Einlenkungen: „Jeder Mensch ist o. k., das heißt wichtig und wertvoll, auch wenn er Schwächen oder Verhaltensweisen hat, die nicht gut sind.“ Wobei die Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht eigentlich weg müsste. Denn alles hat seinen Nutzen. Auch eine vermeintlich schlechte Eigenschaft kann in anderen Situationen gut sein oder in der jetzigen Situation einen sehr sinnvollen Zweck verfolgen.
Im Wesentlichen aber kann es helfen, wenn wir unterscheiden lernen: zwischen dem, was das Kind-Ich (unser inneres Kind) denkt, und unser heutiges Erwachsenen-Ich, das neutral ist, weiß. Dieses weiß zum Beispiel, dass niemand perfekt ist, dass wir alle einmal Fehler machen oder „uns daneben benehmen“. Es gibt neben diesen beiden Ich-Zuständen auch das lauernde Eltern-Ich, das mit Kritik bewaffnet ist. Es kann also helfen, sich mehr auf das Erwachsenen-Ich zu konzentrieren, wenn wir uns einmal wieder dabei ertappen, uns klein zu fühlen oder mit unserer eigentlichen Persönlichkeit aus Angst zu verstecken.
Aber auch Erlaubnisarbeit kann zu mehr innerer Ruhe, Selbstvertrauen, Selbstachtung und Seelenfrieden führen:
- So, wie ich bin, bin ich in Ordnung.
- Ich darf Fehler machen.
- Ich bin stolz auf mich.
- Ich darf mich mit allen Stärken und auch Schwächen zeigen.
- Ich werde trotz meiner Schwächen geliebt.
- Ich liebe mich trotz meiner Schwächen.
- Keiner ist perfekt. Ich muss nicht perfekt sein.
- So, wie ich bin, bin ich genug.
- Ich darf wollen.
- Ich habe genug geleistet.
Neben diesem Glaubenssatz gibt es noch zahlreiche andere, die sich damit verbinden können. Auch bei mir entdeckte ich noch welche, die mir bislang nicht bewusst waren. Schmale-Riedel zählt die folgenden auf und bespricht sie im Detail:
- Ich bin nicht so wichtig, meine Gefühle zählen nicht.
- Ich bin dumm.
- Ich darf keinen Erfolg haben.
- Ich darf mich nicht freuen. Es gibt keine Freude und Glück für mich.
- Liebe und Nähe dürfen nicht sein.
- Nähe ist eine Bedrohung.
- Ich darf nicht hier sein.
- Ich bin böse, aber das darf niemand merken.
- Ich bin schuld.
- Ich muss stark sein und mich kümmern.
- Ich soll nicht erwachsen werden.
- Keiner darf merken, wie es mir wirklich geht.
- Das Leben ist hart und schwer.
- Man kann sowieso nichts ändern.
Wer sich neu entdecken möchte, das Alte von damals noch einmal ansehen und endlich in die Tonne werfen möchte, dem empfehle ich das Buch Der unbewusste Lebensplan: Das Skript in der Transaktionsanalyse. Typische Muster und therapeutische Strategien. Es ist eine wahre Fundgrube an hinderlichen Glaubensmustern, die wir früher sammelten, weil sie hilfreich waren. Es zeigt aber auch, dass damals eben damals war und heute vieles anders ist. Wir dürfen deshalb endlich zu unserer Andersartigkeit stehen. Wir müssen nur erkennen, wo der Schuh tatsächlich drückt. Den „problematischen Kern“ zu finden und in Angriff zu nehmen, ermöglicht dir dieses Buch.
Weil wir alle okay, genug und wertvoll sind, so, wie wir sind.
Liebe Grüße,
Janett Menzel
Vielen Dank für den tollen Artikel! Sehr ehrlich und authentisch geschrieben, tut gut zu lesen und sich ein Stück weit selber wiederzufinden.
Herzlichen Dank, Sarah!
Dir alles Gute,
Janett
Der Artikel hat schon geholfen…. ich freue mich auf das Buch !!