Auf vielen Blogs, die sich mit dem Thema Selbstfindung und –verwirklichung beschäftigen, gibt es Blogposts mit so und so vielen Fragen, die man sich stellen solle. Eine dieser Fragen ist:
„Wenn du ein Problem auf der Welt lösen könntest, welches wäre es?“
Ich beantworte solche Fragen zur Selbstreflexion und –erweiterung ja saugern, nicht nur, um mich selbst besser kennenzulernen, sondern auch, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich meine Antworten in regelmäßigen Abständen ändern.
Letztens antwortete ich auf die obige Frage das hier:
„Wenn ich ein Problem auf der Welt lösen könnte, dann dass alle Kinder so aufgezogen und erwachsen werden, dass sie später weder sich selbst, noch andere verletzen.“
Zwischen Kindheit und Erwachsensein
Im Laufe des letzten Jahres lernte ich viele Menschen kennen, die mir freiwillig ihre Schwierigkeiten im Erwachsenleben erzählten. Ich lernte, wie schwer es für sie ist, sich heute als Erwachsener zu ändern und das, was früher (vorwiegend in ihrer Kindheit) schief gelaufen war, zu beruhigen. Da war die böse Mutter oder der strenge Vater oder jemand Geliebtes war abwesend oder zwar körperlich anwesend, aber für das Kind nicht verfügbar oder teilnahmslos. Es gab miese Lehrer und einige bis viele Menschen, die Anpassung erwarteten – entgegen den Bedürfnissen des Kindes. So lernten sie Angst, Trauer und andere Emotionen zu unterdrücken und begegneten ihnen später wie einen Feind, vorwiegend in Partnerschaften und im Berufsleben.
Ich musste feststellen, wie gern sie in ihrer Vergangenheit etwas ändern wollen würden, wie gern sie jemanden gehabt hätten, der ihnen sagt:
„Du bist toll so, wie du bist, auch wenn dir die Menschen manchmal das Gefühl geben, als sei es anders.“
oder auch umgekehrt:
„Ja, du machst Fehler, aber das ist in Ordnung und ich liebe dich trotzdem. Niemand ist perfekt, auch wenn du als Kind immer gedacht hattest, dass du später die Welt erobern würdest, dich jeder lieben würde und du auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen würdest.“
Wenn es damals anders gelaufen wäre, dann könnte ich heute…so viel zufriedener leben.
Die meisten wünschen sich eine Veränderung ihrer Kindheit (was leider nicht geht) oder wenigstens ihrer Sichtweise auf ihre Kindheit, die sie für heute im Erwachsenenleben stärker oder flexibler gemacht hätte, in jedem Fall resilient. Sie versuchen, mit dem, was geschah und vor allem nicht geschah, umgehen zu lernen. Viele leiden, haben noch immer einen dicken Kloß Trauer in ihrem Hals stecken; andere haben sich hoffnungslos der Welt hingegeben und versuchen nun, das Beste daraus zu machen.
Mir geht es auch so. Ich vermute sogar, dass es kaum jemanden auf der Welt gibt, der so etwas nicht bereits gedacht hat. Es gibt zu viele Ecken, an denen man immer mal wieder hängen bleibt. Auch wenn es (meist) immer Lösungen gibt. Auch wenn die Befürchtungen im Vorfeld meist nie in Gänze in Erfüllung gehen. Jeder stößt an seine Grenzen oder stolpert unverhofft über ein Bein und fällt auf die Nase. Und wir alle hatten Eltern, die auch nur Menschen waren, wurden von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, die auch nur Menschen waren, von Kindern gehänselt und von anderen geliebt, die auch nur Menschen waren und unter irgendeinem Menschen litten.
Alice Miller, eine der bekanntesten Psychoanalytikerinnen des 20. Jahrhunderts, schrieb in ihrem Bestseller Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst treffend, dass es ein Wendepunkt im Leben von Menschen sei, wenn sie erkennen,
„daß all die Liebe, die sie sich mit so viel Anstrengungen und Selbstaufgabe erobert haben, gar nicht dem galt, der sie in Wirklichkeit waren.“ (Miller, Auflage 2014, S. 32).
Na, wie viele sich in diesen paar Worten wohl wiedererkennen? Es geht natürlich um Leistungen, die viele Kinder nicht nur heute, auch bereits vor vielen Jahren, zu erbringen hatten – entlang klarer Regeln, die spätestens in der Schule bestimmten, wie man zu sein hatte. Aber auch im Elternhaus lief es oft so, wie die Eltern das Kind haben wollten, nicht in Übereinstimmung mit den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Kindes.
Exorzisten und kindliche Fähigkeiten
Stefan Hiene erklärte in seinem Interview mit Adrian Kubitsch im Rahmen des Selbstbewusstsein Kongresses am 17.07.2016: Eltern und Lehrer würden den Kindern wie Exorzisten ihre Gefühle, Fähigkeiten und Talente austreiben, weil sie angeblich nicht alltags- und gesellschaftskompatibel seien. Statt sie zu lassen und sich selbst zu entdecken, sie zu stärken und zu Selbst und Bewusstsein zu erziehen, unterbinden sie durch ihre Regeln die Werdung zu einem individuellen, wertvollen und selbstbewussten Menschen.
Damit will ich nicht schlussfolgern, dass die, die so nicht aufwuchsen, nicht individuell oder gar weniger wert wären. Was Stefan hier meinte und ich auch blind und auf einem Bein stehend, unterschreiben würde:
Wir erziehen Kinder ihre Talente und Gefühle wieder ab und so versieben und verdrängen sie ihre Fähigkeiten und den Umgang mit unangenehmen Gefühlen, um sie zu einem äußerlich aalglatten, funktionalen, aber innerlich unsicheren und suchenden Menschen zu machen. Wie viele sind mit dem Glauben aufgewachsen, sie seien falsch, so wie sie wirklich sind?
Als Kind glaubt man den Großen ja auch sofort. Vielleicht spürt man, dass hier gerade eine Ungerechtigkeit geschieht und eine Gegenwehr im eigenen Körper vorhanden ist, aber meist hält man den Mund und … passt sich an. Den Bedürfnissen anderer, um Teil zu sein, nur um später wieder alle Brücken abzubrechen und seinen Weg zurück anzutreten. Das wohl machen die meisten von uns heute. Die immer kürzer werdenden Ausflüge in die angepasste Welt, die Alexander Hartmann in seinem Buch Mit dem Elefant durch die Wand: Wie wir unser Unterbewusstsein auf Erfolgskurs bringen. Eine Gebrauchsanweisung den „sicheren Weg“ nennt, werden immer kürzer. Wenigstens 80 Prozent aller, die ich kenne, suchen ihre eigentlichen Fähigkeiten und würden sicher schnurstracks die sichere Welle verlassen, wenn man Angst überspringen könnte.
Leider wiederholt sich die Geschichte. Kinder mögen sich noch immer und mögen nach wie vor, was sie gern tun mögen. Dummerweise wird ihnen alles das ausgetrieben, bei einigen so sehr, dass sie schnell aufhören, sich zu lieben und eben auch sein lassen, was sie gut und am besten können.
Kindsein ist ein hartes Brot.
Erwachsenwerden auch.
Womit man sich in seiner eigenen Werdung nicht alles herumschlagen muss:
- seine Gefühle kennenlernen,
- sie aushalten lernen,
- Fehler machen, aber sich nicht entmutigen lassen,
- abgewiesen und verlassen werden,
- allein sein,
- glauben, man sei schuld, obwohl man es gar nicht ist,
- Grenzen entdecken und austesten,
- seinen Körper entdecken und aushalten,
- hoffentlich auch lieben lernen,
- finanzielle Einschnitte, die Ausgrenzung fördern,
- Eltern, die nicht so wollen, wie man selbst,
- Schul-, Lern- und zwischenmenschliche Probleme:
hoffentlich nicht alles auf einmal, aber mindestens „irgendetwas“ ist meist immer, was auch noch später an einem nagt.
Miller schrieb noch einen Ausspruch einer ihrer Klienten, der sich stark mit den Empfindungen, die ich bei mir und auch vielen meiner Leserinnen und Leser in ihrer Angst wiederentdeckte, räsoniert – nämlich wie sich viele Erwachsene rückblickend fühlen, nachdem ihnen die Schuppen von den Augen fielen, sie erkannt hatten, wie ihre Kindheit wirklich gewesen ist:
„Wie wäre es, wenn ich böse, häßlich, zornig, eifersüchtig, faul, schmutzig, stinkend vor euch gestanden wäre? Wo wäre dann eure Liebe gewesen? Und all das war ich doch auch. Will das heißen, daß eigentlich nicht ich geliebt wurde, sondern das, was ich vorgab zu sein? Das anständige, zuverlässige, einfühlsame, verständnisvolle, das bequeme Kind, das im Grunde gar nicht Kind war? Was ist mit meiner Kindheit geschehen? Bin ich nicht um sie betrogen worden? Ich kann ja nie mehr zurück. Ich werde es nie nachholen können. Von Anfang an war ich ein kleiner Erwachsener. Meine Fähigkeiten – wurden sie einfach mißbraucht?“ (Miller, Auflage 2014, S. 33)
Mein Hilferuf
Lao Tzu sagte, dass depressive Gedanken durch Gedanken an die Vergangenheit entstünden, ängstliche wiederum durch welche an die Zukunft und dass nur die Gegenwart Frieden bereithielte.
Was kann ich also tun, fragte ich mich, um die Gegenwart der Kinder zu verbessern, in der Hoffnung, dass ihre Zukunft weniger geprägt ist durch schmerzhafte oder wütende Erinnerungen an die Vergangenheit und gleichzeitig weniger Angst durch sich wiederholende, verletzende Ereignisse in der Zukunft?
Mir bleibt nicht viel, aber immerhin etwas: Ich kann die Gegenwart von Kindern nur dann mitgestalten, wenn ich ihnen etwas gebe, was sie brauchen, und auch da bin, wenn jemand anderes es nicht ist. Was haben die meisten Kinder heute bereits sehr viel mehr als Freizeit- und Lernstress, fragte ich mich?
Internet.
Ich habe also beschlossen, Geschichten gegen Angst zu schreiben (kindgerecht aufbereitet). Sie sind als Hilfe/Unterstützung und Freudelieferant gedacht, die sie beim Erwachsenwerden in dieser Welt, die noch viele Barrieren für sie bereithalten werden, begleiten. Ich habe bereits etliche eigene Themen, aber oft sieht man ja nur seinen Wald und kennt seine Bäume, aber andere nicht.
Und dafür brauche ich deine Hilfe: Würdest du mir deine Kinderängste schreiben? Wovor hattest du Angst? Was hättest du so dringend gebraucht, als du noch klein warst? Welche unsagbaren, großen Träume hattest du, die dir (wegen der vermeintlichen Nichttauglichkeit) von deinen Eltern, Lehrern oder sonst jemandem ausgetrieben wurden? Wie hätte deine ideale Kindheit ausgesehen, wenn es was nicht gegeben hätte? Was würdest du deinem kleinen Ich als Botschaft in die Vergangenheit zurückschicken? Welches Motto oder welche Information hättest du dir damals gegeben, um dich beim Großwerden zu unterstützen?
Um es dir leichter zu machen, könntest du diese Sätze vervollständigen:
Als ich noch Kind war, hatte ich Angst vor ________.
Ich hätte mir gewünscht, dass ________ geschieht/mir gesagt wird/mich beruhigt hätte/ich _______ gewusst hätte.
oder auch
Rückblickend hätte mir ________ am meisten geholfen.
Falls du selbst ein Kind hast (oder mehrere), in der Kinderpädagogik arbeitest, sei es als Lehrer oder Erzieher, oder anderweitig mit Kindern zu tun hast:
Welche Ängste siehst du in den Augen der Kinder? Was macht sie glücklich? Wo purzeln ihre Herzen am stärksten? Was treibt dir die Tränen in die Augen? Was würdest du ihnen Gutes tun, wenn du allmächtig wärst?
Schick mir bitte alles, was dir einfällt, sei es zu dir selbst oder zu den Kindern, mit denen du Zeit verbringen darfst.
Danke für deine Hilfe!
Liebe Grüße,
Janett Menzel
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