Focusing ist eine wissenschaftlich erprobte Methode, die das körperliche Innere, sein Erleben, ermöglicht und mittels Sprache hervorbringt – eine Körperweisheit, die leicht erfahrbar ist und im Prozess des Focusing verständlich wird. Mit ihr kannst du erkennen, was dich belastet und wo es sich im Körper eingenistet hat, genauso wie die Ursache einzelner Blockaden und psychogener Schmerzen.
Was ist Focusing?
Die Selbsthilfemethode Focusing entstand aus der Frage heraus, wieso Therapien bei einigen Menschen erfolgreich und bei anderen erfolglos sind. Die Tatsache, dass sich einige leichter ihrem Körper zuwenden und „nach innen gehen“ können, um anschließend ihre Worte entsprechend zu wählen und auszudrücken und andere nicht, ließ den Psychologen und Psychotherapeuten Eugene T. Gendlin hellhörig werden. Er gilt heute als Begründer der Focusing-Methode. Er erfuhr, dass sich körperlich-zugängliche Patienten häufig Gefühlswörtern zuwandten, wie zum Beispiel
- „Ich fühle mich … “
- „Es ist, als würde … “
- „Es ist so ein Gefühl von … “
- usw.
Dieses Fokussieren (engl. focusing) auf den Körper und seine Empfindungen erleichtert dem Menschen, sein Inneres anzuzapfen und so schneller zu Ergebnissen, aber auch zur Bewältigung von Herausforderungen zu gelangen. In der deutschen Ausgabe wurde Gendlins Buch „Focusing“ folgerichtig mit dem Untertitel „Technik der Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme“ versehen.[1] Denn Menschen, die stärker verkopft leben und weniger ihre Gefühls- und Empfindungswelten betreten oder an sich heranlassen (können), haben es nicht nur in Therapien schwerer. Es muss offensichtlich einst Gründe gegeben haben, wieso sie das Spüren und Erfühlen minimierten. Nicht nur die Artikulation dessen, was in ihnen vor sich geht, auch wie sie einzelne Lebensherausforderungen empfinden, was sie in ihnen auslösen, wie sie diese interpretieren (Folgegefühle) – geistig, emotional, körperlich – erscheint blockiert/er.
Heute wird die Methode des Focusing sowohl in Therapien als auch in Coachings und auf privater Lösungsebene verstanden und genutzt. Der Ausgangspunkt: Was wir in unserem Leben erfahren, hallt in unserem Körper nach. Die Informationen, die wir als einschneidend positiv oder negativ erleben, werden gespeichert und idealerweise mittels unseres Gehirns kognitiv greifbar. Dramatische oder frühe Erfahrungen werden teilweise verdrängt, weil es unsere Ressourcen überfordern würde. Denn unser Gehirn ermöglicht uns nur, was wir bereit sind, zu verarbeiten, was uns weder geistig schädigen noch körperlich beeinträchtigen würde. Auch wenn wir keinen Zugang zum Unterbewussten haben, so gibt es dennoch „bloße“ Gefühls- und Empfindungserinnerungen, auf die wir zugreifen können. Diese wiederum ermöglichen eine weitere Auseinandersetzung mit unserem Erlebten und somit auch einzelnen Blockaden. Jedes Glaubensmuster beispielsweise, geprägt durch unsere bisherigen Erfahrungen, die wir von der Außenwelt absorbiert haben, um im Leben sicher zu sein, kann sich im Körper festsetzen und manifestieren.
Unser Gehirn übersetzt im Focusing, was unser Körper erfahren hat. Das wiederum ermöglicht es, dass wir das Innere und Erleben unseres Körpers nachfühlen und verbalisieren können. Der dabei erste und wesentliche Schritt jedoch geht über den Körper und dem Zugang zu sonst leicht übersehbaren oder verdrängbaren Empfindungen. Ein eingewachsener Zehennagel kann sehr schmerzhaft sein, doch im Trubel des Alltags vergessen wir den dumpfen Schmerz. Erst, wenn unser Körper seine ganze Kraft verwendet, um uns darauf aufmerksam zu machen, würden wir gezwungen sein, ihn in seiner Intensität wahrzunehmen. Auch Nacken- oder Schulterverspannungen werden erst dann so richtig lästig und blockierend, wenn sie mehr und mehr unsere Bewegungsfreiräume einschränken. Die leisen Stimmen unseres Körpers wahrzunehmen, kann in der heute hektischen Zeit schwierig sein. Denn wir meinen, alles andere sei wichtiger. Besonders bei Gefühlen tun wir uns schwer, sie zuzulassen. Eine latente Angst wird schnell weggedrückt; Scham- oder Schuldgefühle genauso wie Traurigkeit lassen wir meist erst gar nicht zu, außer sie äußern sich in einem Weinanfall, den wir nicht mehr unterdrücken können. Das Zeigen unserer Gefühle scheinen wir Tag für Tag mehr zu verlernen. Und das gewollt. Fühlen ist eben nichts, was sinnig in dieser Zeit erscheint. Funktionieren und Brillieren, Nicht-Auffallen oder Konflikte-Vermeiden und viele andere gesellschaftlich erprobte Verhaltensmechanismen stehen im Vordergrund.
Doch genau diese leisen Stimmen gilt es im Focusing wahrzunehmen und anzuzapfen, wobei das Hinhören auf jede Stimme im Vordergrund steht.
Focusing: Vorgehensweise
Wir wollen uns nun dem Focusing in der Durchführung widmen.[2]
Schließe deine Augen und richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Körper.
Gehe in dich und höre auf alle Signale deines Körpers. Was fordert die meiste, intensivste Aufmerksamkeit? Du kannst dafür auch die einzelnen Körperregionen abwandern, vom Kopf bis zu den Füßen, pulsierende oder drückende, stechende oder rauschende Körperregionen wahrnehmen.
Versuche nun, das Gefühlte zu thematisieren, also mit einem Thema näher zu beschreiben. Ist es eine Beziehung, eine Angst, ein anderes Gefühl, ein bestimmter Mensch, eine belastende Lebenssituation? Lass dieses Thema auf dich wirken und schaue genau, wo es sich im Körper zeigt.
Welche Worte, Bilder und Gefühle/Empfindungen tauchen auf?
Versuche, das Gefühlte mit einem Satz oder einem Wort so genau wie möglich zu beschreiben. Es muss sich stimmig anfühlen, als wäre es die perfekte Bezeichnung des Gefühlten. Lasse ruhig mehrere Worte oder Sätze zu, solange, bis du das Eine gefunden hast, was räsoniert. Vergleiche auch mit anderen Regionen deines Körpers und ihren Signalen. Was spricht zu dir und was sagt es? Was teilt dir dein Körper mit? Egal, wie unsinnig es sich anhören mag, welche scheinbar unpassenden Worte/Sätze dir in den Sinn kommen, sprich sie laut aus und fühle erneut hinein, ob das Gesprochene endgültig stimmig ist. Finde diese detailgenaue Sprache deines Körpers. Im Focusing nennt man das felt sense.
Wenn du diese genaue Bezeichnung gefunden hast, reagiert dein Körper und das Gefühlte wahrscheinlich mit einem Impuls, der bestätigend sagt: „Ja!“ oder „Genau!“ oder „Das ist es!“ Vielleicht musst du husten, seufzen, schlucken, weinen, dich schütteln oder bewegen, tief einatmen oder dein Körper sackt etwas vor Erleichterung in sich zusammen, will sich fallenlassen oder anlehnen. Er wird instinktiv reagieren. Das ist die Veränderung, der sogenannte Shift, der stattfindet, weil du das Gefühl aufgespürt und benannt hast.
Nun kannst du mit deinem Körper, mit dem Gefühlten, ins Gespräch gehen und ihm Fragen stellen. „Was ist der Grund, dass dieses Gefühl da ist?“, „Was soll ich sehen, bemerken, verändern?“, „Wieso stellt sich durch eine Situation, einen Menschen, ein Thema in meinem Leben dieses Gefühl ein?“.
Nimm alles wahr, was sich dir als Erkenntnis bietet: jedes Bild, jedes Wort, jede Regung und Interpretation, die dein Gehirn formt, jede Wärme und Kälte, jedes Schauern, wenn du ein Gefühl wahrnimmst.
Wie könnten deine nächsten Schritte aussehen? Diese Frage ist im Prozess zwar optional, aber das Gefühlte soll ja transformiert werden. Deshalb kannst du dein Gefühl auch fragen, was ratsam wäre, als Nächstes zu unternehmen. Aber auch eigene Überlegungen im Nachgang sind nützlich, um das Erlebte zu reflektieren und neue Schritte für die Zukunft zu formulieren.
Erkenntnisreiche Freude wünsche ich dir!
[1] vgl. Gendlin, 2004
[2] Die folgende Beschreibung kann gut im Alleingang durchgeführt werden, insofern keine klinischen Hintergründe bestehen, keine Belastung einen Krankheitswert, der behandlungswürdig ist, darstellt. Doch für tiefergehende Erfahrungen und Belastungen sollten medizinische bzw. fachmännische Begleitungen gesucht werden.
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