Julia Cameron wurde u. a. durch ihre Morgenseiten bekannt, die für tägliche Entlastung sorgen und gleichzeitig Platz im Kopf schaffen, um Kreativität zu fördern. Sie empfindet Kreativität, vor allem die Wiederentdeckung, als einen Weg aus Stress, Sorgen, Angst: Angst vor allem vor Bewertungen, die es in unserer Vergangenheit zu erforschen und so zu verarbeiten gilt. Dass sich ein jeder wieder neu finden und entdecken kann, in seine Talente eintauchen und sie ausleben kann, ungeniert und frei von Urteilen anderer, ist das Ziel ihres Buches.
Für mich gehört es seit langem zum Top-Repertoire, wenn es um Kreativitätstechniken geht. Sie ermöglichen uns Lösungskompetenz statt Ohnmacht und Blockaden, Fokus statt Starre und Flow statt innerer Unruhe. Es ist ein Buch, das jeder lesen sollte, der Altes ablegen will, um sich so auf den Weg zur Selbstverwirklichung und Selbsterkenntnis zu begeben. Dieses Buch ist ein Arbeitsbuch, das den Leser und die Leserin über 12 Wochen hinweg mit Übungen begleitet. Jede Übung davon geht in die Tiefe deines Selbst hinein und lässt dich dich neu erfahren. Eine wundersame Begegnung mit dem, was du einmal werden und sein wolltest und gleichsam Erinnerung daran, dass es niemals zu spät ist, seinen Träumen doch noch zu folgen.
Woche 1 und ein tägliches Ritual: Die Morgenseiten als eine der befreiendsten Kreativitätstechniken
Kreativitätstechniken sind nicht nur etwas für Künstler, sondern für jeden Menschen, der sich flexibler in seinem Leben den Aufgaben widmen will, die ihn begleiten. Sie sind wie ein Tool für das eigene Brainstorming, das kreative Ideen mit Tipps und Methoden wachrüttelt – für alle Lebensbereiche, von Alltag, Kindern, Job und Beziehung. Probleme gibt es überall und überall dort braucht es Lösungen. Doch statt Blockaden und Missmut, fehlende Konzentrations- und Durchhaltefähigkeit zu ertragen, können Kreativitätstechniken helfen, Prokrastination (Aufschieberitis) zu verhindern und den Ziel- und Lösungsorientierten in uns zu entblocken. Kreativitätstechniken sind also nicht nur für Künstler, Kreative, Studenten oder Referendare.
Ein guter Schritt und eine grandios Kreativitätstechnik stellen die Morgenseiten dar: Als Schreibtherapeutin, die die Hürden von Nicht-so-Schreiblustigen kennt, möchte ich gern anmerken: Morgenseiten sind eine automatische Schreibmethode. Man schreibt einfach, ohne nachzudenken, drauf los. Es gibt kein Gut, kein Schlecht, kein Überlegen, sondern nur das, was sich als Gedanke im Kopf auftut. Was uns sonst einfach nur hindern und blockieren würde, uns nachts wach hält oder abends nicht einschlafen lässt.
Cameron empfiehlt diese Methode als Erstes in ihrem Buch Der Weg des Künstlers. Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität. Sie dauert nur 15-30 Minuten, je nach Schreibtempo. Außerdem ist wichtig:
Material: Papier, Stift (Filz, Bleistift), Morgenseiten-Tagebuch
Tageszeit: morgens, noch im Bett oder direkt nach dem Aufstehen
Cameron rät, die Morgenseiten regelmäßig jeden Tag für einen Zeitraum von 12 Wochen zu schreiben. Aber wieso morgens?
Morgens bereits alles, was man im Kopf hat, jede einzelne Kleinigkeit, an die man schon denkt, denken muss, man auf gar keinen Fall vergessen darf, Druck, Leistung, Ansprüche usw. bis hin zu Dingen, die man erledigen muss oder Sorgen, die morgens schon wieder da sind, aufzuschreiben, bedeutet: sie raus zu schreiben. Wir leeren unseren Kopf und schaffen Platz für Neues. Gleichzeitig erinnern wir uns an wichtige Dinge, die, einmal aufgeschrieben, auch noch einmal mehr verankert werden.
Man lässt seinen Gedanken ihren eigenen Raum. Dadurch nimmst du sie (und dich) ernst, bläst neuen Wind in dein Gehirn und fühlst dich freier, weil du deine Gedanken entlassen hast. Du bekommst zu besonders negativen Umständen nach geraumer Zeit den Drang, den Impuls, sie zu positivieren. Man nervt sich selbst ab einem gewissen Zeitraum. Das ist eine wunderbare Wendung, die du für dich nutzen kannst. Sie wird dich wieder in einen angenehmen Zustand bringen, in dem du deine Sorgen weniger ernst nimmst oder Menschen weniger auf ein Podest stellst. Dein Selbstwert wird von allein steigen.
Und so wird es gemacht:
Nimm dir drei A4 Blätter und schreibe alles auf, was dir direkt in den Kopf schießt. Schreibe solange, bis die drei Seiten voll sind. Von „Ich muss heute Wäsche waschen und dann noch Hemden bügeln! Das nervt mich jetzt schon. Ich wollte doch eigentlich…“ bis hin zu „In 10 Tagen habe ich meine Prüfung. Ich kann kaum noch schlafen, lerne nur noch bis mitten in die Nacht hinein. Nichts geht mehr in meinen Kopf, ich werde durchfallen. Ich werde sicher durchfallen! Meine Angst ist tierisch groß. Ich könnte schon wieder weinen. Meine Mutter wird so irre enttäuscht von mir sein. Dabei gebe ich mir so viel Mühe. Ich tue wirklich, was ich kann und zu allem Überfluss muss ich noch drei Rechungen zahlen, obwohl ich nur noch 31 Euro bis zum Ende des Monats habe.“ Alltägliche Dinge, schwierige Umstände, Ängste, Sorgen, aber auch Wut und Kraftausdrücke, die man so nie ausdrücken würde, finden auf deinen Morgenseiten ihren eigenen Platz. Sie sind für niemanden gedacht, nur für dich und funktionieren wie ein Tagebuch.
Wenn dir nichts mehr einfällt, schreibst du auch das auf: „Mir fällt nichts mehr ein. Mir fällt nichts mehr ein. Echt jetzt, mir fällt nichts mehr ein. Wie soll ich denn noch die verbleibenden 1 1/2 Seiten füllen? Soll ich jetzt wirklich nur noch schreiben, dass mir nichts mehr einfällt?“ Ja!
John Brandons „7 Minuten für deinen Morgen“ – Julia Cameron in neuer Variation
Nun hat John Brandon diese Methode weiterentwickelt (Quelle), in dem er auf einen Mix aus Meditation, Wachsamkeit, Morgenseiten, Malen und Rekapitulieren setzt. Und so geht’s:
Material: Du brauchst eine Uhr und Papier und Stift.
Ort und Zeit: morgens in Stille
Dauer: 7 Minuten
1. Suche dir einen ruhigen Ort.
2. Atme für eine Weile tief ein und aus.
3. In Minute 3 bis 6 schreibst du alles auf, was dir in den Sinn kommt oder schon im Kopf herumspukt. Dazu male nach Herzenslust und visualisiere deine Ideen, Gedanken und Gefühle.
4. Lies alles nochmal durch und verstehe das Geschriebene in einem größeren Kontext. Was lässt sich aus dem Ganzen mit in deinen Tag nehmen/umsetzen/bearbeiten/besprechen etc.?
Das lässt sich ebenfalls vor der Arbeit/Schule/Uni machen, wobei du dann die Gedanken in die berufliche/schulische Richtung ausdrücken kannst und dich somit entlastet.
Kreativitätstechniken der folgenden Wochen
Mit „Detektivarbeit“ gegen Wut, Scham, Angst, Kritikempfindlichkeit: Sicher erinnert sich jeder an Situationen aus der Kindheit oder der Schule, in der wir uns darüber freuten, etwas zu können oder geschaffen zu haben. Dann kam jemand, der uns unsere Freude nahm, den Wert des Geschaffenen absprach und uns kritisierte. Das löste Wut, Scham und Angst aus und führt bei vielen Menschen dazu, dass sie kritikempfindlich werden und sich schuldig fühlen. Die Akzeptanz durch die äußere Welt blockierte von da an unsere innere Kraft, eigens etwas zu erschaffen und unseren Talenten nicht im Wege zu stehen.
„Viele blockierte Menschen sind eigentlich sehr kraftvolle und kreative Persönlichkeiten, denen man Schuldgefühle ob ihrer eigenen Stärken und Gaben eingeimpft hat. Ohne dafür Anerkennung zu finden, werden sie von ihren Familien und Freunden als Energiequelle benutzt. Andere nehmen sich die Freiheit, ihre kreativen Energien zu nutzen und zu verschwenden…Weil ihr Talent ihnen Schuldgefühle verursacht, stellen sie ihr Licht unter den Scheffel, um andere ja nicht zu verletzen. Stattdessen schaden sie sich selbst.“ (vgl. S. 130f.)
Das lässt sich auch auf die Arbeitswelt und sein Team beziehen, nicht nur auf den engen Kreis der Familie und Freunde. Mit ihrer Übung „Detektivarbeit“ möchte Cameron dagegenwirken und rät daher: Gehen wir in uns und erinnern uns an das, was WIR wollten, wollen, liebten und lieben. Von Satzvervollständigungen bis hin zu Situationen, in denen uns jemand ungerechtfertigt kritisierte. Diese Blockaden zu lösen, bringt uns automatisch in den Zustand, aus dem Ideen geboren werden. Sie bieten zudem wertvolle Selbsterkenntnis und ermöglichen Loslassen: fremder Urteile, Kritik, Fremdansprüche und was sonst noch nervt.
Begrabene Träume wiederentdecken: Sie fordert ihre Leser/-innen auf, sich an die „verschütteten Träume und Freuden“ zu erinnern.
Und wie würdest du dich mit 80 Jahren beschreiben? Wie sieht deine ideale Umgebung aus? Wie warst du im Alter von acht Jahren und was hast du damals gern getan? Welches Outfit steht für einen sehr geringen Selbstwert und weshalb hast du es noch? Welche Situationen in unserem Leben, die uns verletzen, die wir aber gern ändern würden, sind noch immer da und weshalb halten wir an ihnen fest? Was haben wir davon?
Und meine liebste Übung: Das Tugendfallen-Quiz: Was ist der größte Mangel, die größte Freude, dein zeitintensivstes Engagement, deine größte Furcht? Wann fühle ich mich schuldig, was würde meine Umgebung denken und tun, wenn ich meinen Träumen folgen würde? Wann bin ich traurig?
Auch verbotene Freuden und verheimlichte Wunschlisten stehen mit auf der To-Do-Liste. Und das sind nur einige wenige der 1000 Übungen in diesem Buch! In nur 12 Wochen lernst du durch dieses Buch
- das Gefühl für Sicherheit wiederzugewinnen
- das Gefühl für Identität wiederzufinden
- das Gefühl für Macht wiederzugewinnen
- das Gefühl für Integrität wiederzugewinnen
- das Gefühl für die eigenen Möglichkeiten wiederzugewinnen
- das Gefühl von Reichtum wiederzugewinnen
- das Gefühl von Verbundenheit wiederzugewinnen
- das Gefühl von Stärke wiederzufinden
- das Mitgefühl wiederzugewinnen
- das Gefühl für Selbstschutz wiederzufinden
- das Gefühl von Autonomie wiederzugewinnen
- das Gefühl von Vertrauen wiederzufinden.
Wer sich selbst neu entdecken will, Ideenfindung ankurbeln will, ein Problem mit einer zündenden Idee lösen möchte oder sich einfach nur wieder neu kennenlernen und spüren will, der sollte sich Julia Camerons Buch mit den vielen Methoden unbedingt kaufen. Es kostet nur 10,99 Euro und hat einen unbezahlbaren Mehrwert: dich.
Kreative Grüße,
Janett Menzel
Quelle und unbedingte Leseempfehlung:
Julia Cameron: Der Weg des Künstlers. Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität
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