Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Krankheiten nimmt unter Studierenden drastisch zu. Dazu gehören auch eine Reihe an Angststörungen sowie Panikattacken. Rund eine halbe Million Studenten in Deutschland leidet aktuell unter einer psychischen Erkrankung. Laut Barmer-Arztreport 2018 sei der Anteil der psychischen Diagnosen bei 18- bis 25-Jährigen allein in den Jahren 2005 bis 2016 um 38 Prozent gestiegen. Depressionen nahmen in diesem Zeitraum bei der Zielgruppe sogar um 76 Prozent zu. Somit leidet statistisch gesehen jeder sechste Student an einer psychischen Erkrankung.
Je älter ein Student bzw. eine Studentin, umso größer die Ängste
Auffallend ist, dass ältere Studenten besonders häufig von einer psychischen Erkrankung betroffen sind. Es scheint demnach eine Korrelation zwischen dem Alter des Studenten beziehungsweise der Studentin und der psychischen Verfassung zu geben. Während mit 18 Jahren nur 1,4 Prozent der Studierenden unter einer Depression leiden, sind es mit 28 Jahren bereits 3,9 Prozent. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Ursachen dieser Angststörungen, Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlen und weiterer psychischer Erkrankungen während dem Studium liegen vor allem in Existenzängsten begründet und genau diese nehmen zu, je älter die Studierenden sind. Macht Studieren also krank?
Welche Gefahren hat ein Studium für die psychische Gesundheit?
Natürlich macht ein Studium nicht prinzipiell krank, dennoch triggert es viele im Menschen verankerte Ängste. Nicht jeder Student und jede Studentin kann damit (auf Dauer) umgehen und so kann sich das Studieren förderlich auf die Entwicklung einer psychischen Erkrankung auswirken. Dass die Zahlen aktuell so stark ansteigen, liegt nämlich nur einerseits in der verbesserten Diagnostik und der höheren Akzeptanz psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft, sodass mehr Betroffene den Mut finden, sich Hilfe zu suchen und eine Diagnose stellen zu lassen.
Andererseits liegt die Ursache vermehrt in dem steigenden Zeit- und Leistungsdruck an deutschen Hochschulen sowie Universitäten. Mehr und mehr Studenten leiden unter Existenzangst, welche sie mit anhaltender Dauer des Studiums und zunehmendem Lebensalter immer stärker belasten, bis unter Umständen eine Depression, Angst- oder ähnliche Störung entsteht.
Ursachen: Existenzangst als Sammelbegriff
Jeder Mensch leidet unter Existenzängsten. Diese sind als Urinstinkt fest verankert und überlebenswichtig. Wäre da nicht die Angst vor dem Tod, würden viele Menschen waghalsig durch ihr Leben gehen. Zukunftsängste im Sinne der Unberechenbarkeit des Lebens, wie die Angst vor dem Verlust eines geliebten Menschen, stellen die Grundlage des modernen Versicherungssystems und auch der Institution der Ehe dar. Es ist also völlig natürlich, dass der Mensch nach vermeintlicher Sicherheit strebt. Dennoch ist es interessant, den Sammelbegriff der Existenzangst einmal in seine verschiedenen Bestandteile zu zerlegen. Welche Ängste sind es also wirklich, die deutsche Studierende so belasten, dass sie eine halbe Million Betroffene in die psychische Erkrankung treiben?
Leistungsdruck
Seit der Einführung das Bachelor-Master-Systems (Bologna-Prozess) im Jahr 2010 ist der Leistungsdruck in vielen Hochschulen sowie Universitäten stetig angestiegen. Mit dem Wissen, dass nur die besten Absolventen anschließend attraktive Stellenangebote erhalten werden, sind sie einem ständigen Konkurrenzkampf ausgesetzt. Dies äußert sich in einer zunehmenden Vereinsamung der Studenten und Studentinnen. Partys, WG-Leben, Freizeit – Faktoren, die früher selbstverständlich zu einem Studium gehörten, werden immer mehr zur Ausnahme. Als Resultat steigen die Zahlen der Studienabbrecher. Rund ein Viertel der Studierenden an deutschen Universitäten geht ohne Abschluss. An Fachhochschulen sind es sogar 39 Prozent. Neben diesem Konkurrenzkampf setzen sich die Studierenden deshalb vermehrt selbst unter Druck. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst, nicht selten zu hoch. Der Anstieg im Leistungsdruck resultiert also sowohl aus inneren als auch aus äußeren Faktoren, das Ergebnis bleibt jedoch dasselbe: Stress, Hektik und die Angst davor, eigene sowie Ansprüche Dritter nicht erfüllen zu können.
Zeitdruck
Aufgrund des Bologna-Prozesses steigt auch der Zeitdruck während des Studiums. Langzeitstudierende mit 20 oder mehr Semestern, das ist heutzutage mit den strengen Regularien des Bachelor-Master-Systems nicht mehr möglich. In vielen Fällen gilt: Wer zweimal durch die Prüfung rasselt, ist raus! Wer bis zum vierten Semester kein Praxissemester absolviert hat, ist raus! Wer nach dem fünften Semester nicht das Grundstudium erfolgreich abgeschlossen hat, ist raus! So oder so ähnlich lauten die Studien- und Prüfungsordnungen an vielen Hochschulen und Universitäten. Während temporärer Zeitdruck in der Regel weniger problematisch ist, wird er auf Dauer zum Problem. Zieht sich der Stress also über mehrere Semester bis Jahre hin, kann er zum Auslöser für psychische Erkrankungen wie Panikattacken werden. Dies stellt eine Erklärung dar, weshalb das Risiko einer entsprechenden Diagnose mit zunehmenden Alter der Studierenden steigt.
Versagensängste
Angesichts dieser hohen Ansprüche ist es kein Wunder, dass sich immer mehr Studierende überfordert fühlen. Die Angst vor dem „Versagen“, also davor, das Studium überhaupt nicht oder schlechter als gewollt abzuschließen, steigt. Das erhöht wiederum den Druck, die Leistungen verschlechtern sich, die Versagensängste nehmen zu und mit ihnen erneut der Druck, wodurch sich eine Abwärtsspirale bildet, welche geradewegs in die psychische Erkrankung führen kann.
Prüfungsangst
Zu diesen Versagensängsten gehört in erster Linie die Prüfungsangst, unter welcher zahlreiche Studierende an deutschen Hochschulen und Universitäten leiden. Dazu gehören sowohl schriftliche als auch mündliche Prüfungen. Auch Vorträge vor den Kommilitonen oder Fremden treiben vielen Menschen Schweißperlen auf die Stirn. Hinzu kommen hohe Anforderungen bei Seminar- und Abschlussarbeiten.
Finanzielle Sorgen
Doch damit nicht genug: Immer mehr Studierende müssen trotz BAföG neben dem Studium arbeiten, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Und selbst, wenn dies aus finanziellen Gesichtspunkten nicht notwendig wäre, entscheiden sich viele Studentinnen und Studenten für den Nebenjob, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Berufserfahrung zu sammeln. Diese Doppelbelastung aus Arbeit und Studium frisst zunehmend die verfügbaren Entspannungszeiträume auf und setzt Körper sowie Psyche unter Dauerstress.
Zukunftsängste
Gute Noten, eine kurze Studiendauer, mehrere Jahre Berufserfahrung und gut ausgebildete Soft Skills: Es ist kein Geheimnis, dass die Ansprüche an Absolventen auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren gestiegen sind. Dem Fachkräftemangel zum Trotz, haben Studierende in den meisten Branchen sowie Fächern nach wie vor Angst, diese Ansprüche nicht erfüllen zu können und dadurch keinen oder zumindest keinen attraktiven Job zu finden. Die Angst vor einer Arbeitslosigkeit steigt und damit auch wieder das bereits erwähnte Konkurrenzdenken mit der daraus resultierenden Vereinsamung während des Studiums. Auch hier entsteht demnach eine gefährliche Abwärtsspirale, die zur psychischen Erkrankung führen kann.
Gesundheitliche Sorgen
Neben solch allgemeinen Zukunftsängsten spielen auch gesundheitliche Sorgen häufig eine Rolle. Spätestens, wenn sich erste Beschwerden einer Depression, einer Angststörung oder anderen psychischen Diagnosen bemerkbar machen, ziehen diese häufig die Angst nach sich, zukünftig nicht am Arbeitsmarkt bestehen zu können. Schließlich sind psychische Erkrankungen eine der häufigsten Ursachen einer Arbeitsunfähigkeit. Eine Arbeitsunfähigkeit oder sogar Berufsunfähigkeit durch Krankheit kann unter Umständen den Job kosten oder eine Lücke in den Lebenslauf reißen, welche die Arbeitssuche anschließend erschwert. Zudem kann es für Studenten mit psychischer Erkrankung schwierig werden, eine Versicherung für den Fall einer Berufsunfähigkeit abzuschließen, sodass ein Leben von Sozialhilfe droht. Eine Perspektive, die in einer ohnehin schwierigen Situation oft noch zusätzlich belastet.
„Quarterlife Crisis“
Zuletzt ist die Studienzeit auch eine Zeit des Umbruchs. Der Auszug aus dem Elternhaus, eventuell eine neue Stadt, neue Freunde, neue Anforderungen in der Universität oder Hochschule, zu kaum einem anderen Zeitpunkt im Leben ändern sich die äußeren Umstände so schnell und drastisch wie zum Studienbeginn. Gerade in den 20ern befinden sich viele Studierende inmitten ihrer „Quarterlife Crisis“. Die Eingewöhnungsphase ist dank Bachelor-Master-System häufig zu kurz oder sie zweifeln an ihrer Studienwahl, schließlich ist der Beruf eine Entscheidung für das ganze Leben. Es ist daher typisch, dass sich an einem solchen Wendepunkt eine Krise entwickelt und mit ihr auch Angststörungen, Panikattacken, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen.
Es ist die Reaktion auf emotionalen und psychischen Leistungsdruck, ein Kreuz aus Ansprüchen und Erwartungen (eigene, andere) sowie mögliche Konsequenzen, allem voran Versagen und die damit verbundenen Gefühle Schuld und Scham, Traurigkeit und Entsetzen/Überraschung des sozialen/akademischen/familiären Umfelds. Niemand möchte sich selbst und/oder andere enttäuschen, besonders wenn daran große Hoffnungen geknüpft sind.
Schlussendlich gibt es also viele Gründe, welche im Studium zu Existenzängsten in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und damit auch zu psychischen Diagnosen führen. Allein das Wissen darum, mit diesen Ängsten nicht alleine zu sein, kann bereits Trost bedeuten. Glücklicherweise finden zudem immer mehr Studierende den Mut, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen, anstatt das Studium ohne Abschluss zu beenden.
Titelbild: Fotolia.com © contrastwerkstatt #48136430
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