So wie du, haben alle Menschen, auch ich, eine Geschichte, die sie sich erzählen. Aus dieser Geschichte, auf die ich im Blog eingehen werde, erwachsen alle – ALLE – Blockaden, die zur Selbstsabotage werden und dich hindern, zu werden, wer du wirklich bist. Diese Geschichte sorgt dafür, dass du dich versteckst, deine Bedürfnisse ignorierst oder dass andere sie ignorieren.
Was Blockaden und Selbstsabotage mit deiner Geschichte zu tun haben
Unsere Geschichten sind immer besonders – besonders gut oder besonders schlecht. Doch diese Geschichte ist nicht die reine Wahrheit, nämlich eine, in der Menschen menschlich sind und Fehler machen. In unseren Geschichten soll es wie im Märchen einen magischen Anfang, einen spannenden Hauptteil und ein gutes Ende geben, einen Helden und eine Heldin, die alle Hürden überwinden. Es gibt versinnbildlicht Könige und Königinnen, böse Hexen, gute Zauberer und sprechende Tiere, einen Prinzen, eine Prinzessin. Es gibt Drachen sowie verwunschene Wälder voller guter Elfen und Feen. Wir sind der Held oder die Heldin dieser Geschichte und werden vor eine Aufgabe gestellt, die wir erfüllen müssen – solange, bis wir siegen. Und hier beginnen die Blockaden und auferlegte Schicksale.
Wir alle haben und brauchen Geschichten, die wir uns und anderen erzählen können. Doch welche wir erzählen, das entscheiden wir allein. Wir schmücken unsere Geschichte mit allerhand Symbolen und Personen aus – solange, bis wir sie verstehen – bis sie gut klingt oder Sinn ergibt.
Die Geschichte, die du dir erzählst, hat mit hoher Sicherheit nichts mit den Ereignissen deines Lebens zu tun. Sie besteht stattdessen aus deinen Interpretationen, deinen Ausschmückungen, Symbolen und Personen, deinen Hoffnungen – angereichert mit vielen Gefühlen und Gedanken. Deine Geschichte beinhaltet auch die Geschichten, die dir andere über dich und sich erzählen. Sie besteht außerdem aus den Geschichten deiner Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und weiterer Ahnen. Sie lieferten dir den Rahmen für deine Geschichte. Und nur du weißt, wer in deiner Geschichte die Guten sind, jenseits welcher Grenzen das Böse lauert. Nur du weißt, wie sie enden wird. Denn du bist dein eigener Geschichtenerzähler, du allein schreibst deine Geschichte.
Du kannst dich nicht mehr daran erinnern, aber schon seit deiner Geburt spinnst du dir deine Geschichte über die Welt, dein Leben, deinen Körper, deine Fähigkeiten und die Menschen um dich herum zusammen. Damit es nicht langweilig wird, hast du dir früh angewöhnt, stets an deiner Geschichte zu arbeiten, große Teile umzuschreiben, Sinnzusammenhänge herzustellen, neue Charaktere einzuführen, Kapitel hin- und herzuschieben, das Ende zu streichen oder die Kapitelüberschriften zu ändern. Vielleicht liest du sie hin und wieder Korrektur und entfernst die Rechtschreib- und Grammatikfehler. Vielleicht gibst du sie beizeiten jemand anderem zum Lesen, der dir Feedback gibt, dir sagt, ob er sie gern gelesen hat, ob ihm deine Geschichte gefällt.
Ganz sicher hast du einige Menschen kennengelernt, die kein Teil deiner Geschichte sein wollten oder denen deine Geschichte Angst gemacht hat. Vielleicht wollten sie, dass du ihre Geschichte viel schöner findest als deine oder fanden gar, dass du keine eigene Geschichte verdient hättest. Vielleicht sahen sie dich nicht als Held oder Heldin, der bzw. die du bist und sein möchtest. Oder sie schafften es, dass du dein Buch weglegst und stattdessen in ihrem blätterst, ihnen ihre Geschichte schöner schreibst und gut enden lässt, statt an deiner eigenen zu arbeiten und zu feilen. Vielleicht versuchst du bis heute, die Geschichte eines anderen Menschen irgendwie mit deiner in Einklang zu bringen.
Welche Rolle hast du dir geschrieben?
Welche Rolle man sich selbst und seinen Mitmenschen in der Geschichte, die man sich erzählt, verleiht, ist das wirklich Spannende. Ist man ein Königskind oder der König bzw. die Königin selbst? Oder ist man eine bettelarme, gefügige und gepeinigte Magd, die mit Verachtung bestraft und ausgelacht wird? Ist man ein Kriegs- oder Finanzminister, eine gute Fee oder eine böse Hexe? Wird sich der Prinz beim ersten Blick in deine Augen in dich verlieben? Oder wird er dich nur dann mögen, wenn du schöne Kleider trägst und 10 kg abgenommen hast? Wirst du zum König ernannt, wenn du die Feinde des Königreichs vertrieben hast oder der Vater erst einmal gestorben ist? Wirst du dann endlich zeigen können, was in dir steckt? Wirst du dann endlich jemand sein oder so, wie du in Wahrheit bist? Oder wirst du dich erst noch beweisen müssen, schuften und kämpfen müssen, um zur königlichen Gesellschaft dazuzugehören? Bist du der immer unterhaltsame Hofnarr oder die Tochter der Köchin, die die Prinzessin um ihre Schönheit und Anerkennung beneidet? Oder bist du die Prinzessin, die einem wohlhabenden Prinzen versprochen ist, aber in Wahrheit den schönen, aber armen Stalljungen liebt? Bist du der gute Sohn in den Augen deiner Eltern oder die vernachlässigte, ungeliebte Tochter, das schwarze Schaf, das nur darauf wartet, in ihrem Wert erkannt zu werden oder alt genug zu sein, um zu flüchten?
Welchen Charakter wir uns geben, womit und mit wem wir uns identifizieren, ist ein entscheidender Aspekt für den Verlauf unserer Geschichte. Denn unsere Geschichten müssen Sinn ergeben. So sind wir Menschen gestrickt. Wir würden nie einer Geschichte glauben, in der der Finanzminister plötzlich zum Hofnarren degradiert wird, weil er so viel besser Witze erzählen kann, als Finanzen zu verwalten. Wir würden nie glauben, dass der Prinz vom bösen Trank der Hexe bis zum Ende seines Lebens verzaubert bliebe, statt durch die Kraft der Liebe von der Prinzessin mit einem einzigen Kuss aufgeweckt zu werden. Wir wollen Geschichten, die gut ausgehen, in denen das Gute über das Böse siegen wird. Wie spielt keine Rolle für uns. So mögen wir unsere Märchen. So schreiben wir unsere Geschichten. Und so erzählen wir sie uns und allen, die sie hören wollen.
Das kleine Mädchen in dir, der kleine Junge in dir, mag im Moment nicht glauben, dass die Geschichte gut enden wird. Er sieht, dass der Mittelteil von Kriegen, hinterhältigen und ungerechten Machenschaften, Ablehnung und Versagen, Einsamkeit und Machtlosigkeit dominiert wird. Und was geschieht, wenn wir uns immer wieder nur ein Kapitel, in dem der Held oder die Heldin zum Weitermachen gezwungen wird, dem Ruf des Lebens folgend, sich erfolglos zur Wehr setzt, vorlesen? Wir vergessen den Anfang, die schönen Kapitel zuvor, die schönen Kapitel danach, das Ende. Wir vergessen vor allem, dass wir diese Kapitel geschrieben haben und wir sie stets neu schreiben könnten – wenn wir bereit sind, unsere Geschichte mit anderen Augen zu sehen.
Wieso das so ist? Weil wir eines von Märchen zu glauben wissen: nämlich, dass sie zu schön sind, um wahr zu sein oder wahr zu werden.
Zu schön, um wahr zu sein
Menschen, die sich deshalb keine Märchen erzählen, sondern erwachsene Geschichten – Geschichten für Erwachsene, gibt es zuhauf. Dann sind es eben keine dunklen Mächte, bösen Hexen und Zauberer mit Tränken und Stäben, die einem vom Glück abhalten. In erwachsenen Geschichten sind die kleinen Jungen und Mädchen, die die Geschichtenerzähler einmal waren, auch nicht mehr blauäugig oder gutgläubig. Sie haben ihre Lektionen gelernt, denn das Buch ihres Lebens war in ihrer Wahrheit ein Schulbuch, Krimi, Drama, Horror oder eine Geschichte, die sie weder verstehen noch mögen.
All diese Geschichten haben eines gemeinsam: Sie fordern Opfer. Menschen leiden, vereinsamen und sterben, weil sie nicht ausreichen, nicht klug, reich, mächtig oder schön genug sind. Und wo es Opfer gibt, gibt es auch Täter, mindestens einen, in den meisten Geschichten aber sind es gleich mehrere. Wir übersehen, dass wir um der Spannung willen Fehler machen oder extra lange leiden, bis wir uns aus den Fängen unserer Peiniger befreien können. Wir weigern uns, zu erkennen, dass wir selbst unsere Geschichte schreiben, uns unsere Täter suchen und uns selbst zum Opfer ernennen – damit wir kämpfen und triumphieren können.
Deshalb sind die Geschichten, die wir uns erzählen, in vielen Fällen traurig. Vielleicht sehen sie so aus, als würden sie ein gutes Ende nehmen, weil wir einen Partner gefunden haben, eine Familie gegründet haben, befördert wurden oder mehr Gehalt bekommen haben. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt: Obwohl wir allen Grund zur Lebensfreude und Mut haben, erzählen wir uns lieber, dass unsere Geschichte böse enden wird oder gar muss – sonst würde es keinen Sinn ergeben. Oder wir erzählen uns, unsere Geschichte klänge noch nicht gut genug. Erst wenn wir x erreicht hätten, wäre unsere Geschichte eine besonders schöne, die wir uns und anderen besonders gern erzählen.
Von Horrorgeschichten zur Liebesgeschichte: Schreib deine Geschichte um
Wenn wir bereit sind, unsere Lebensabschnitte und -ereignisse wie ein Buch zu sehen, in dem es weitere Kapitel geben wird und ein Ende, das wir noch nicht kennen, aber gut sein kann, vermag unsere Geschichte, uns neu zu verzaubern. Wir dürfen uns erlauben, unsere Art, wie wir uns unsere Geschichten erzählen, zu ändern. Wenn wir keine Horrorgeschichten mögen, sollten wir auch keine schreiben, lesen und uns und anderen erzählen. Wenn wir keine Dramen mögen, weil sie uns zu sehr ergreifen, sollten wir keine Dramen schreiben, lesen und uns und anderen erzählen. Doch viele tun das Gegenteil und so gehen Menschen, die sich ungern gruseln, abends ins Bett und erzählen sich wieder eine Horrorgeschichte oder eine besonders dramatische und traurige – ihre eigene. Und obwohl diese Geschichte so schlecht ist, erzählen sie sie immer und immer – damit sie sie auch ja nicht vergessen.
Denn eine traurige Geschichte zu haben, die man sich und anderen erzählen kann, ist immerhin besser, als keine Geschichte zu haben. Sie ist auch besser als eine langweilige zu haben, in der nichts passiert, die vor sich hindümpelt und dennoch kein Ende zu nehmen scheint. Geschichten sind da, damit man jemanden zum Zuhören anzieht und selbst etwas zu erzählen hat. Deswegen schmücken wir unsere Geschichten oftmals mit extra üblen Charakteren und Wendungen aus. Damit es spannend bleibt…
Wir alle haben und brauchen Geschichten, die wir uns und anderen erzählen können. Doch welche wir erzählen, das entscheiden wir. Es ist deshalb so wichtig, dass wir uns unsere Geschichte sehr genau auswählen und sie stets korrigieren, um Denkfehler und unstimmige Sinnzusammenhänge zu vermeiden. Wir müssen wissen, welche Art Geschichten uns guttun und welche uns nur noch mehr verletzen. Wir müssen Entscheidungen treffen, was im nächsten Kapitel geschehen soll und was den Lauf der Geschichte behindern würde.
Vor allem aber müssen wir erkennen, welche Geschichte wir uns und anderen seit Jahren erzählen, damit wir sie endlich zu unserem Besten umschreiben können.
Toller Beitrag du und super geschrieben!
Besonders diesen Punkt finde ich gut:
Unsere Ängste und selbst auferlegten Schicksale haben oft nichts mit der Realität zu tun. Das sind alles Dinger, die in unseren Köpfen ablaufen. Erinnerungen, Wünsche, Fantasien und so weiter.
Alles Liebe und weiter so
Robert