Vor Kurzem sagte mir jemand: „Janett, du sprichst noch immer eine Handvoll an Wahrheit nicht aus – absichtlich, aus Angst davor, dass deine LeserInnen es nicht hören möchten.“ Ich fand das anfangs befremdlich, aber musste mir bald eingestehen, dass die Person völlig Recht hatte.
Eine dieser Wahrheiten ist mein Glaube, teils gegen die Psychologie und ihre Wert- und Glaubensvorstellungen, dass Angst ein Weckruf ist, um sich zu trennen: von etwas, von jemandem, von alten, ausgedienten Denk- und Verhaltensmustern. In solchen Fällen brächte eine Verhaltenstherapie nur eine kurzzeitige, graduelle Besserung, denn nur die Symptome würden zu kurieren versucht. Nicht aber der Auslöser der Angst- und Panik-Symptome. In diesem Gedanken, entsteht Angst im mentalen Gefecht. Angst wird zum einen Schutz, zur einen Nachricht des Geistes in Bezug auf das, was gerade in deinem Leben am dringlichsten ist. In welcher Scheiße du auch stecken magst, Angst sagt: Zieh dich da raus. Angst kann also eine Aufforderung sein, ein Hilfeschrei deines Geistes, nötige Veränderungen in Angriff zu nehmen. Und zwar schleunigst. Falls dir das allein schwerfällt, nutze die therapeutischen Hilfsangebote deiner Stadt. Aber gehe den Weg deiner – in diesem Falle – wohlwollenden und deshalb alarmierten Gefühle.
Die Angst (kommt) vor der Gefahr als Hinweis und Signal
Wenn Angst auftritt, reagieren wir. Wie die Reaktion auch aussehen mag. Wir nehmen unsere körperlichen Empfindungen wahr. Und reagieren. Dummerweise eher mit Abwehr, indem wir uns tot stellen. Aber viele schafften es, einen Schritt zurückzugehen und sich die angstauslösende Situation näher anzuschauen. In den meisten Fällen erkannten sie, dass das, was sie ängstigte, eine viel legitimere und reale Gefahr (und somit Angst) mit sich bringen könnte.
Ein Bespiel: Mein Onkel (er verstarb 1990 im Alter von 29) half sich mit Alkohol über seine Ängste, nichts wert zu sein, hinweg. Er fühlte sich weder zugehörig noch geliebt. Mein mittlerweile verstorbener Großvater war damals häuslich gewalttätig und weit entfernt davon, ein guter Vater zu sein. Mein Onkel wurde als Reaktion auf diesen familiären, emotionalen Stress alkoholabhängig, schloss sich einer Gruppe „Gleichgesinnter“ an, geriet oft in Prügeleien, aber steuerte mithilfe von Alkohol seine Selbstwertprobleme und Ängste (wenn auch fehlgerichtet). Wie es damals in der DDR so war, kam man schnell ins Gefängnis, wenn man sich abnorm verhielt. So auch mein Onkel. Interessant war, dass er jedes Mal, wenn er einsaß, keinen Impuls zum Trinken hatte. Er holte sogar im Gefängnis mehrere Teilfacharbeiter nach. Kurioserweise fühlte er sich im Gefängnis geschützt; dort brauchte er keine Angst zu haben. Seine Angst funkte weder „Vorsicht!“ noch hatte sie Grund, sich über das Reaktionsmuster Alkoholismus auszudrücken. Kaum war er jedoch wieder draußen, in der Realität, kam seine Angst erneut hoch, weil er sich nicht sicher fühlte. (Verständlich für die, die sich mit der Stasi und ihren Auflagen bei antisozialem Verhalten auskennen. So wurden meiner Großmutter und Mutter verboten, Kontakt zu ihm zu haben. Er sollte noch weiter ausgegrenzt werden, sich noch weniger liebenswürdig fühlen, als Bestrafung für seine Reaktion auf die Tyrannei seines Vaters.)
Ein Beispiel aus dem Panikalltag: Wann immer ich in einen bestimmten Supermarkt ging, bekam ich Panikattacken. Ging ich aber in einen anderen, hatte ich keine. Ich merkte erst Jahre später, dass nicht meine Panik problematisch war, sondern DIESER Discounter. Nur dort wollten alle zuerst rankommen, nahmen sich wichtiger, drängelten vor, hatten keine Ruhe, keine Zeit und waren gestresst – von den Kunden bis zu den Einzelhandelsverkäufer*innen. Im anderen Supermarkt aber war es ruhig: Die Kunden schlendern entspannt durch die Gänge und die Menschen an der Kasse warten geduldig, bis die, die kassieren, fertig sind. Keiner muckt. Völlige Akzeptanz. Hätte ich nicht gewusst, dass ich mich am Verhalten der gestressten, sich benachteiligt fühlenden und hektischen Menschen innerlich anzupassen versuche – mit demselben Stress reagiere – hätte mir eine Verhaltenstherapie nur bedingt etwas gebracht. Denn was geändert werden musste, war die Wahl meines Supermarktes, die Menschen, denen ich begegne. Denn meine Panikattacken dort waren eine Schutzfunktion meiner Angst und sie funkte „Weg hier!“. Die Angst vieler Hochempathen reagiert so.
Ähnliche Beispiele kenne ich aus der Partnersuche (wenn ich keine Nähe von und zu jemandem ertragen konnte) oder von Begegnungen mit Menschen, bei denen ich sofort ein schlechtes Gefühl hatte. Mein Bauchgefühl ist zwar stark, aber manchmal, wenn ich etwas unbedingt will oder bequem werde, ignoriere ich meine Intuition unbewusst und unbemerkt. Höre ich nicht auf sie, kommt in 90 Prozent aller Fälle Angst in mir hoch, als würde sie meine Intuition unterstützen wollen und sagen: „Lass. Ich erledige das!“
Zusammengefasst:
In meinen Augen ist das Gefühl Angst, das jedes Lebewesen kennt, um Einiges schützender im positiven Sinne, als wir uns bislang erlauben, anzuerkennen. Angst ist ein Zeichen, mit etwas aufzuhören, sei es Grübeln, Kontakt zu einem bestimmten Menschen oder der Kampf um Liebe. Ich nehme an, dass es stark mit der Gesellschaft und ihrer Prägung, vor nichts Angst haben zu dürfen, was nicht wahrhaftig physisch bedrohlich ist, zusammenhängt. Wir sind, und sollen darauf trainiert sein, vor nichts und niemanden Angst haben zu müssen, was nicht unseren körperlichen Tod herbeiführen könnte. Aber eine Gesellschaft mit leistungsorientierten Maßstäben gab der westlichen Psychologie diese Standards, nicht etwa das Individuum. Betrachtet man den Tod an sich, so existiert er auch mental, herzlich und seelisch, nicht nur auf medizinischer Ebene, sondern auf spiritueller – oder für die, die allein vom Wort Spiritualität abgeschreckt sind (weil unsere Kultur ihre volle Arbeit geleistet hat), holistisch.
Ganzheitlich betrachtet ist es auch ein Tod, sich mit falschen Menschen in einem sozialen Umfeld auseinandersetzen zu müssen (oder zu wollen) oder in lieblosen Partnerschaften zu bleiben oder dem Chef den Arsch zu küssen. Jeder noch so kleine Verrat an uns selbst (meint: Körper – Geist – Herz -Seele) lässt etwas in uns sterben, im Mindesten aber unsere Authentizität, unsere Wahrheit. Sind wir aufgrund von Umständen nun aber dazu gezwungen, den Chef geil finden zu müssen oder Unternehmensziele zu befürworten oder dem Partner/der Partnerin das Gefühl zu geben, man wäre fein mit den Bedingungen, Idealen, Werten und Grenzverletzungen, löst das völlig berechtigt Angst aus. Dennoch definiert die Psychologie es als „gestört“, wenn der Körper/Geist mit Angst- oder Panikattacken reagiert. Aber viele sind so konditioniert (ich bin eines der besten Beispiele), dass sie keine feinen Sensoren mehr für Stresszustände oder Fremdsteuerung besitzen. In meinem Kopf ist es logisch, dass der Körper mit einer ausgefeilten, treffsicheren Variante daherkommt. Wer die kleinen Signale schon überhört hat (oder musste/wollte), der braucht vielleicht einen lauteren Knall.
Doch dieser unüberhörbare Knall deute im Denken der Menschen dennoch ein krankheits- und behandlungswürdiges Muster an, etwas, das uns vom definierten Normalen der Kultur unterscheidet und ausgrenzt. Aber dass eben Angst ein Weckruf der Aus- bzw. Abgrenzung ist und sagen will: „Weg da!“, verkennen wir selbst in den kleinsten Momenten. Angst ermahnt zur Vorsicht, weil wir es mit Schmerz, Belastung, vielleicht sogar Tod in Verbindung bringen. Das verbindende Element ist Angst. Das auslösende Momentum aber ein ganz anderes. Das muss kuriert werden. Und weil wir nicht trainiert sind im Umgang mit schweren, belastenden und schmerzhaften Gefühlen – sie seitens der Gesellschaft immer so schnell „therapiert“ werden sollen, damit wir wieder funktionieren, glauben viele, dass etwas mit ihnen nicht stimme, wenn sie Panikattacken haben. Das liegt nur daran, dass wir mit unseren Gefühlen nach den eingeflößten, blind geglaubten Standards anderer versuchen zu leben und unser Versagen dabei „falsch“, „abnormal“, „klein“ oder „kindisch“ betitelt wird. Es gibt viele kulturell und gesellschaftlich definierte SOLL-Werte, die wir bewusst nicht mehr wahrnehmen, aber unserem Körper-Geist-Herz-Seele-System durchaus ein Dorn im Auge sind.
Wenn wir uns nur mit Menschen zusammentun, denen wir nicht ausreichen, die uns stets zu ihren Zielen drängen wollen, während sie unsere ignorieren (und wir dieses einseitige Verhalten nicht mit Rückzug bekämpfen, sondern befürworten und nachahmen), ist es doch logisch, dass der Geist irgendwann mindestens mit Angst reagiert. Es wäre ja an seiner Funktion vorbei, wenn er es nicht täte. Dennoch seien nach gesellschaftlichen Standards die Reagierenden das Problem und ihr Verhalten müsse nur umstrukturiert, umprogrammiert oder wieder auf Trab gebracht werden.
Mit jedem Menschen, der nicht mehr Teil meines Lebens sein wollte, wenn ich gerade wieder eine Panikepisode hatte, wurde mein Leben leichter. Klar waren der Verlust und die anfängliche Irritation schwer für mich. Aber ihre Abwesenheit bereinigte viel Unauthentisches in meinem Leben.
Angst-Riecher: Man muss den Mist riechen wollen, um ihn erkennen und beseitigen zu können
Menschen sind meisterhaft darin, sich die noch so übelsten Situationen und Umstände schönzureden. Augenwischerei von früh bis spät ist die Agenda vieler. Es lebt sich sicher leichter, getreu dem Bibelvers: „Denn bei viel Weisheit ist viel Unmut, und häuft einer Erkenntnis, so häuft er Schmerz.“, das Äquivalent für „Ignoranz ist ein Segen.“ Hauptsache ist und bleibt, dass X in unserem Kopf doch so wunderbar funktionieren könnte. Wenn wir nur daran glauben, wenn wir uns nur noch mehr bemühen. Deshalb gibt es Angst nicht nur als Signal, sondern auch als Hinweis auf: „Hier liegt das Problem.“ Um nichts in deinem Leben zu bedrohen, keinen Verlust zu erleiden, steht Angst für dich auf und ein. Deshalb reagieren Menschen zum Beispiel mit Panik, wenn
- ihnen jemand droht (Achtung: Gefahr!) und frieren im Totstell-Modus ein (Konditionierung: Jetzt tu nichts. Bloß nicht auffallen. Verhalte dich still.)
- beginnen durch stille Wut (unausgefochtener Kampf) und Panik (Energie für den Kampf, die sich entladen will, denn wenigstens im Kopf muss gekämpft werden) auf z. B. Ungerechtigkeit oder eingeschränkte persönliche Freiheiten (Auslöser, für den sie keinen Umgang gelernt haben)
- nehmen den Kampf auf (auch reine Angstenergie), um Verluste wichtiger Werte zu vermeiden oder
- wollen fliehen, wieder zurück (durch Panikattacken), wenn sie z. B. jemanden vermeintlich zurücklassen, im Stich lassen (womit sie Schmerz desjenigen verbinden: häufig zu sehen bei ambitionierten Müttern) und opfern sich oder
- wollen nur noch „raus“ aus einer Situation oder sozialen Gruppe, wenn deren Reize Überhand nehmen, weil sie sie nicht verarbeiten können (öffentliche Verkehrsmittel, enge Räume, laute Umgebungen, die keine Rückzugsorte darstellen)
Es sind Reaktionsmuster (Totstellen, Flucht, Kampf) auf etwas, das wir fürchten oder aber im Umgang noch nicht gelernt haben. Wie dir vielleicht auffällt, dominieren Flucht und Totstellen. Kampf ist eher selten bei Angst/Panik-Symptomatiken, da es Teil des Problems ist, dass sie für sich behalten wird, statt ausgesprochen, wahrgenommen, ausagiert (also das, was du wirklich willst) und akzeptiert.
Doch bei manchen ist die Situation so verworren, dass sie nicht wissen, woher die Angst/Panik rührt. Falls du dazugehörst und keinen Anhaltspunkt besitzt, welcher Lebensbereich dich belastet – Liebe/Partnerschaft, Familie, Beruf, Freundeskreis – möchte ich dir einen kleinen Trick aus meiner damaligen Zeit verraten.
Welcher Lebensbereich belastet dich wirklich? Finde es heraus >>
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