Wenn ich an die Zeiten mit Agoraphobie und Panikattacken zurückdenke, fallen mir vor allem meine Fehler ein – Fehler, die ich mir und dem Leben, das ich bin, gegenüber beging. Von Selbstbetrug und -verrat, egogesteuertem Denken, der Sehnsucht danach, jemand zu sein – fehlerfrei, selbstlos, be- und geliebt, gut/besser, wichtig und genug –, meine Identität zu gestalten anstatt sie zu erkennen, mir und der Welt etwas zu beweisen bis hin zu radikalen Verbrechen an meinem Körper, Geist und Herzen, war alles dabei. Und dennoch fragte ich mich ständig: Was soll ich denn machen, um meine Angstzustände und Panikattacken zu überwinden?
Besonders diese Fehler führten nach meiner heutigen Einschätzung zu den vielen Angststörungen:
Was muss man machen, um Phobien & Panikattacken zu überwinden?
Als ich in Therapie ging, war ich ratlos, was ich noch machen konnte, damit die Angst, meine Phobie mit Panikattacken, wieder verschwindet. Ich war blauäugig genug, um anzunehmen, es würde reichen, eine Woche Urlaub zu machen, mich etwas zu bewegen und zu entspannen. Wie lange meine Genesung tatsächlich brauchte und was es bedurfte, damit ich mein Leben wieder in den Griff bekommen würde, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar.
Ich glaube heute, dass es nicht nur darum geht, im Großen zu handeln und für sich das zu tun, was man am meisten fürchtet, zum Beispiel zu kündigen und sich einen neuen Job zu suchen, in einer Beziehung Ansprüche zu stellen oder seine Bedürfnisse zu artikulieren, seine Verwundbarkeit zu adressieren oder loszulassen, sich zu trennen, wenn dieser Lebensabschnitt zu große Schmerzen bereithält. Es sind sowohl die kleinen als auch großen Schritte, die nötig und möglich sind. Auch wenn ich glaube, dass Loslassen bzw. Rückzug die Antwort für viele Betroffene mit Angst und Panik sein könnte, so muss nicht jeder Schritt ein Bruch mit dem momentanen Leben sein.
Ich hatte aus den ersten zwei Episoden und der letzten Angst- und Panikstörung gelernt, dass mein System Rückzug und Distanz präferiert – aus Situationen, in und mit denen ich lebte.
- Waren sie gut?
- Reichten sie mir?
- Wie dienten sie mir?
- Konnte und wollte ich ihnen dienen?
- Oder lähmten sie mich?
- Hielten sie mich ab von dem, was ich mir wünschte?
- Folgte mein Leben meinen Fähigkeiten, sodass ich sie einsetzen und über sie hinaus wachsen konnte?
- Oder waren meine Lebensumstände nur „zu viel“ von „zu wenig“?
- Wo war mein Platz auf dieser Welt und waren die Plätze, die ich einnahm, wirklich meine oder nur Orte, an denen ich geduldet wurde – begleitet durch Bedingungen, die ich zu erfüllen hatte?
- Liebte ich von Herzen oder war ich mehr damit beschäftigt, meine Angst, nicht geliebt zu werden, abzuwehren?
- Wie viel Abhängigkeit steckte in meinem Leben?
- Wie selbstwirksam war ich tatsächlich?
- Und was war ich bereit, für mich zu tun, um meine Gefühlswelten, samt meiner Angst, zu verändern?
Diese und andere Fragen stellte ich mir und Angst motivierte mich dazu, die Antworten zu finden. Vielleicht zwang sie mich auch. Stell dir doch einmal diese Fragen, nimm dir einen Zettel und einen Stift und beantworte sie dir – frei aus dem Herzen heraus. Vielleicht ergeben sich wertvolle Antworten.
Manchmal reicht es aus, das falsche Selbst, das man wie eine Maske mit sich herumträgt, zu erkennen und langsam aufzubrechen.
- Was an dir ist wirklich wahr und echt?
- Bist du wirklich DU – in all deinen Lebenssituationen (Beruf, Familie, Partnerschaft, Freundschaft usw.)?
- Wo spielst du eine Rolle wie in einem Film?
- Bist du der Hauptdarsteller/die Hauptdarstellerin oder nur Statist/Statistin?
- Wo bist du der Regisseur/die Regisseurin?
- Hast du das Drehbuch geschrieben oder schreibt es dir jemand vor und du bekommst täglich die nächsten Seiten?
Wenn man sich bewusstmacht, wo man in seinem Leben nur handelt, wie andere es von einem erwarten würden, um etwas zu erreichen, könnte man dort den Hund begraben vorfinden. Es könnte sein, dass man eben dort an diesem Ort, an dem zu viele Konflikte oder zu wenig Gefühl vorherrschen, den man irgendwie mag und doch wieder nicht, die Weichen findet, die gestellt werden sollen, damit die Angst weichen kann.
Die Symptome sollen weg, aber die Ursachen dürfen bleiben?
Wenn man etwas dringend will, ist man zu großen Opfern bereit. Interessanterweise sagt uns unser System, ob es das unterstützen kann oder nicht, und falls ja, inwieweit das möglich ist. Symptome sind ein Zeichen dafür, dass die Antwort Nein lautet. Doch manchmal sind Symptome so verworren, dass man die Antwort nicht versteht. Man weiß, man sollte sich aus Selbstrespekt trennen oder müsste dringend kündigen oder lernen, sich ernst zu nehmen oder weniger wichtig – aber stets glaubt man zu sehen, dass Angst und Panik einen davon abhalten wollen. Sie sagen stattdessen: Geh nicht raus! Geh nicht ins Restaurant vor anderen essen! Du musst perfekt sein, sonst wirst du durchfallen oder den Job verlieren! Du darfst keine eigenen Bedürfnisse haben, Wünsche und Träume für dich, sonst bist du zu kompliziert! Du darfst dich nicht aufregen und dem anderen deine Wut und Enttäuschung zumuten: Also sei nicht so unerhört und dreist! Deine Wut darf niemand sehen! Wenn du das machst, endest du mutterseelenallein! und so weiter und so fort.
Angst redet einem vieles ein, dass leicht verständlich scheint, doch in Wahrheit umständlich, aber clever verpackt ist. Man könnte auch sagen, Angst spricht ihre eigene Sprache. So wie mit Fremdsprachen auch, muss man sie lernen und üben. Erst dann wird man von Tag zu Tag besser, kann sie verstehen und anwenden. Wenn man sie einigermaßen beherrscht, sieht man sie auch an anderen: die Angst, die sie leitet – die, die sie selbst anderen und sich machen und die, die von anderen (absichtlich und unabsichtlich) gemacht wird. Angst kann aber nur dann wirken, wenn etwas auf dem Spiel steht: ein Wert, der bedroht wird oder bereits verlorengegangen ist. Würde man mit ihm nichts verbinden, käme Angst nicht auf. Selbst wenn man es schaffte, die Symptome bzw. die Angst zu überwinden, bliebe die Ursache, insofern sie nicht körperlicher Natur ist, noch immer vorhanden: der Job, der einem nicht gerecht wird, die Partnerschaft, in der man sich auseinandergelebt hat, die Einsamkeit, die auch ohne Angstzustände und Panikattacken leise flüstert, man wäre unwichtig und hätte in der Welt – draußen – nichts zu suchen und zu geben, der Anspruch an sich selbst, wenn man Eltern wird, oder die Angst vor Unfreiheit. Die wahren Ursachen bleiben auch ohne Angst bestehen. Nur weil es schwerer erscheint, die Ursache zu erkennen, und vermeintlich leichter, die Symptome zu bekämpfen, sollte man das erstere dennoch suchen.
Als ich begann, mich statt auf die Bewältigung der Symptome auf die Klärung der Ursache zu konzentrieren, ging es leichter voran. Als ich noch mit den Symptomen kämpfte, war ich so sehr auf die gewollte Abwesenheit der Angst fokussiert, dass ich die Auslöser der Angst schlichtweg übersah: Morgendliche Hektik, laute und negative Menschen, zu viel Kaffee und andere Gifte, zu viele und hohe Erwartungen an mich, die Druck auslösten (auch die Erwartungen, die ich selbst an mich stellte), um nur einige zu nennen.
Es kann sich lohnen, alle Umstände vor und während einer Angst- oder Panikattacke aufzuschreiben und sich ihre Muster anzusehen, bis ins kleinste Detail zu erfassen, und seien sie noch so unwichtig und banal. Einer meiner Klienten war beispielsweise immer in geschlossenen Räumen, auch im Auto als eigenständiger Raum, wenn er Angst vor der Angst bekam, nie draußen. Selbst wenn er sich in der Öffentlichkeit befand und in Gedanken bei seinem Job, in seinem Büro, mit seinem Chef gegenüber, war, war er in Wahrheit nicht aus der belastenden Situation „raus“.
Eine Klientin, frisch geschieden, war oft beruflich unterwegs, hatte ihre eigenen beruflichen Träume aber schon lange begraben und suchte nach ihrem Platz an einem Ort, der nie ihrer sein würde. Sie war aber froh, wenigstens ihren Job zu haben, auch wenn er nicht ihren Fähigkeiten gerecht wurde. Als Kompensation rauchte sie viel und oft auf den Fahrten zu Geschäftstreffen in ihrem Auto, vor den Terminen und danach. Und immer dann kam die Angst.
Eine andere Klientin hatte Panikattacken, immer wenn ihr Menschen/Situationen Gefühle, die sie nicht hatte, abringen wollten: Partner, die nicht zu ihr passten, ihre Mutter, die mehr Anerkennung und Zuwendung forderte, als sie bereit war zu geben, ein Job, der sicher war, aber sie nicht erfüllte. Sie gab sich Mühe, es oberflächlich allen rechtzumachen, obwohl sie wusste, dass sie nicht mehr nur für andere da sein wollte – jedenfalls nicht unter fremden Bedingungen und mit unausgesprochenen Drohungen und Konsequenzen für ihr Leben: Verlust und Ausschluss. Sie vermied Schuld und Scham in allen Situationen, weswegen Angst sich als Symptom zeigte. Überwinden musste sie aber etwas Anderes als Angst, nämlich ihr Empfinden von Scham und Schuld und ihren Umgang mit diesen beiden Gefühlen.
Wieder ein anderer Klient erlebte nach viel Alkohol und Tabak – einen Tag nach dem Konsum – starke Angstzustände. Sein Körper war nur damit beschäftigt, die Gifte auszuleiten und sich zu reinigen. Seine Hormone waren außer Rand und Band und dementsprechend seine Stimmung am Boden. Er musste sich fragen, wieso er so stark trank und rauchte. Er wollte vergessen, seinem Leben, so wie es war, kurz entgleiten und in eine andere, ausgelassenere und friedlichere Welt flüchten, sich vermeintlich mit Alkohol und Zigaretten nähren und wärmen. Doch die wahre Wärme und Nahrung für sein „System“ waren Änderungen an seinem Denken, Fühlen und Handeln.
Aus meinem Buch:
101 Wege aus der Angst. 101 Strategien, um Angstzustände und Panikattacken zu überwinden (2018). Independently published. 116 Seiten.
Klappentext: Seit ihrer ersten Panikattacke 2008 sucht die Autorin nach Wegen, um Angstzustände und Panikattacken zu überwinden oder wenigstens zu schwächen, um das Leben wieder lebenswert zu machen. Dieses kleine Buch vermittelt 101 Möglichkeiten, die sie bisher fand: aus eigener Erfahrung, von anderen Betroffenen und Experten aus der ganzen Welt. 101 Wege stellen Mini-Interventionen, kleinere und größere Lebensänderungen, Strategien und Techniken vor. Sie ermöglichen Betroffenen außerdem, tiefer in ihre Situation einzutauchen und nicht nur die Symptome zu betrachten, sondern auch mögliche Ursachen.
Verfügbar als Taschenbuch (Amazon) und E-Book (Amazon, Hugendubel, Weltbild & andere Shops).
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