Dieser Beitrag ist Teil 2 des Artikels Was, wenn starke Angst ein Aufruf zu Veränderung und Rückzug ist?
Womit fotografierst du? Nimm dir dein Mobiltelefon oder deine Kamera bzw. die Menschen vor, die in bestimmten Situationen Fotos von dir gemacht haben, und sie sie dir an. Siehst du mit deinen Freunden, deinem Partner, deiner Familie oder deinen Kollegen glücklich aus? Schau dir auch die Fotos an, die du von anderen gemacht hast: Welche Gefühle steigen in dir auf, wenn du sie anschaust? Oder siehst du deren befreiende/entlastende Gefühle, weil du dich um ihr Glück kümmerst? Spürst du, dass du dich mit deren Glück nicht wohlfühlst? Oder entlastet es dich, DASS du sie glücklich machen kannst und bist deshalb ebenfalls glücklich? Oder merkst du positive, beglückende Gefühle nur auf Selfies?
Ich habe in meinen damaligen Zeiten stets entgegengesetzte Gefühle gespürt, ambivalente Gefühle. Waren andere glücklich, aber sah ich nicht so aus bzw. fühlte ich mich abgestoßen von deren Zufriedenheit oder kam Verachtung, Missgunst oder der Impuls des Nicht-Teil-sein-Wollens in mir hoch, wusste ich: Ich will da nicht hingehören. Ich fühle mich nicht nur nicht zugehörig. Ich hatte, auch den Drang, mich nicht mehr um deren Zufriedenheit (einseitig) auf meine Kosten zu kümmern.
Der Fairness halber möchte ich anmerken: Wir können uns auch ungut oder nicht zugehörig fühlen, obwohl wir jeden Grund dazu hätten. Aber dann gilt es zu hinterfragen,
- wozu (nicht warum!) wir nicht dazugehören wollen
- Welche Gründe gibt es, dass dieser soziale Raum dir nicht gibt, was du dir wünschst?
- Gewinnen nur die anderen an Wohl dazu, aber du nicht oder zu wenig?
- Was hindert dich am eigenen Wohl?
- Kannst du das, was dir geschenkt wird (falls du etwas erhältst, was dir Wert stiftet), nur nicht anerkennen, die Liebe annehmen, dich lieben lassen oder gibt es triftige Gründe deines Unwohlseins?
Es ist nicht weit hergeholt, dass viele kämpfen müssen, sich stets ungenügend und nicht gut genug fühlen müssen, um sich beweisen zu können. Sie spielen dann etwas, was sie in der Kindheit/Jugend/ersten autonomen Lebensjahren erfuhren, nach. Sie wiederholen es, um den Moment der Genugtuung zu erfahren, wenn sie es geschafft haben, sich zu beweisen. Ihr Kampf ist der Beweis, dass sie es wert sind, geliebt, gesehen und gehört zu werden, Teil sein zu dürfen. Kommt es ihnen einfach so zuteil, erscheint es in ihren Augen zu leicht, zu unglaubhaft, um wahr zu sein. So war es ja noch nie vorher. Wieso sollten ausgerechnet sie jetzt vom Gott, Universum, Zufall reich beschenkt werden, wenn es nicht einmal ihre Eltern, ersten Partner, Freunde oder X konnten? Das kann nicht sein. Hier kann etwas nicht stimmen. (Angst kommt auch dann, wenn solche Verhaltens- und Denkmuster existieren, die wegmüssen.)
Der menschliche Drang, dazuzugehören und akzeptiert, anerkannt und wertgeschätzt zu werden
Aber warum versuchen wir so sehr, uns anzupassen? Weil Zugehörigkeit und sozialer Kontakt uns oft wichtiger ist, als der Kontakt zu unserem wahren Ich. (Wissenschaftlich wurde auch bewiesen, dass soziale Kontakt die Gesundheit fördern und Krankheiten in ihrer Entstehung lindern.) Doch sozialer Kontakt und Teilsein sind nur dann gesund, wenn sie unsere Ausgeglichenheit fördern statt mindern. Das ist vielen nicht bewusst, weil sie Alleinsein (und damit verbunden) Einsamkeit fürchten.
Wir alle zielen darauf ab, Teil von etwas zu sein, das Sicherheit und Harmonie in allen Gefilden des Lebens aufrechterhält. Wir tendieren dazu, so und so zu sein oder unreflektiert zu tun, was andere von uns erwarten. Nur die, die dagegen steuern und Nein sagen, nehmen sich raus aus der Rechnung (und bekommen sehr oft noch die Schuld dafür).
Wenn ich meine Panik-Episoden hatte, habe ich mich (die ersten drei Male) distanziert – von allem und jedem. Ergebnis: Die Episoden waren sofort weg oder nach wenigen Wochen vorbei. Nicht einmal die „Schuld“, die mir gegeben wurde, weil ich nicht mehr so sein wollte, wie andere es brauchten, interessierte mich damals. Die Panik wich und das Leben wurde wieder leicht. Einzelne Disziplinen der Psychologie hätten versucht, mein Verhalten in Bezug zur Angst zu verändern und ich wäre danach wieder in dieselben Situationen zurückgekehrt, die erst diese Angst in mir ausgelöst hatten. Meine Reaktion auf den empfundenen Stress (mein inneres Warnsystem) wäre kuriert worden, nicht aber das Problem an sich. Es lag also nur an meinen Reaktionsmustern bei Stress. Nur das eine Mal, als ich mich nicht zurückzog, als ich mich für gestört, abnorm, kindisch und problematisch hielt, an meinem Ich herumdoktorn lassen wollte, blieb die Panik über sieben Monate. Wieso sie dann trotzdem wich?
Weil ich erkannte, dass es nicht mein Verhalten (nicht meine Gedanken, die zu Verhalten wurden) war, was umprogrammiert werden musste, sondern meine Ziele. Sie mussten/durften individuell werden. Ich hatte nämlich keine eigenen. So etwas wie: „Ich will nicht allein sein!“ oder „Ich bleibe Teil einer Unternehmsstruktur, die schändlich mit ihren Mitarbeitern umgeht, weil ich sonst arbeitssuchend würde.“ oder „Ich will die weltbeste Mutter, ambitionierteste Karrierefrau und geliebte Partnerin sein!“ sind keine eigenen Ziele, sondern Abwehr der Angst, etwas falsch zu machen oder „falsch“ zu sein (Schuld und Scham sind dann die Herausforderungen). Wer aber lernt, sich weder schuldig noch beschämt zu fühlen, wenn er seine eigenen Ziele definiert und verfolgt, der wird beide Gefühle nicht mehr wahrnehmen. Wer Ziele hat und sie verfolgt, ist niemals allein, sondern dichter an sich selbst, als so manch anderer. Wer sich herauszieht aus unbewussten Unternehmen, die einen Pfiff auf das Mitarbeiterwohl geben, lernt, einen Pfiff auf solche Unternehmen zu geben und handelt nach den Maßstäben solcher, die sich sehr wohl um ihre Mitarbeiter kümmern – weil sie wissen, dass diese der Kern des unternehmerischen Erfolgs sind. Wer alles sein und können will, mit den besten Erfolgen, ist für alle alles und kann für alle alles, aber lebt sehr wahrscheinlich in mindestens einem Lebensbereich an sich selbst vorbei.
Es ist okay.
Es ist völlig okay, nicht alles zu sein, was andere erwarten, und nicht alles zu können. Das macht uns Menschen aus: nicht alles wuppen zu können, sondern kleine Experten in einem oder wenigen Bereichen zu sein. Oder wie es in der Wissenschaft um Selbstständigkeit so schön heißt: Die Welt braucht keine Generalisten, sondern Spezialisten. Bei großen Institutionen, in der Wissenschaft oder der Politik arbeiten ja auch keine Generalisten an weltverbessernden und menschheitsfördernden Schritten, sondern hochrangige Gelehrte, die besten Experten der Welt. Sie liefern ihre individuelle Expertise und tragen so bestmöglich zu einem Ziel bei.
Wenn du nun mit deiner Lebensexpertise nicht in eine soziale Gruppe, ein bestimmtes Unternehmen, deine Familie, deine Partnerschaft passt, und Angst oder Panik erlebst, wann immer du trotzdem versuchst, dich ein- und anzupassen, dann lebst du dort für andere, weil du glaubst, eine tieferliegende Angst auf diese Weise abwehren zu können: nicht Teil zu sein, sozial ausgegrenzt zu werden, Einsamkeit, Schuld, Scham und tiefe Bestürzung (Traurigkeit) über gesellschaftliche und kulturelle Standards, die viel über die Werte der beängstigenden Gruppe aussagen, aber nichts über dich. Da dir bislang kein anderer Weg angeboten wurde oder du ihn noch nicht gesucht hast, bleibst du.
Besser wäre es, den Mut zu entwickeln, dich abzugrenzen, wenn deine Angst dich dazu aufruft. Je stärker sie wird, desto dringlicher ist ihre Absicht, ihre Nachricht an dich. Lass dich von einem Therapeuten dabei unterstützen, diese/n Weg/e zu gehen, damit du währenddessen emotionale Sicherheit und Halt spüren lernst. Veränderungen machen vielen Menschen Angst, weil Unberechenbarkeit und Unwissenheit gegenüber der Zukunft mitunter schwer auszuhalten sind. Aber in Gesprächstherapien, Psychoanalysen oder – wenn deine Angst noch nicht klinisch ist – auch in Coachings kannst du Bestätigung und professionelle Anleitung zum Umgang mit Veränderungen finden.
Mit den besten Grüßen,
Janett Menzel
Hy 🙂 wir kann ich das verstehen das man sich unter menschen nie mehr verstellen soll und die ängste sind weg ?! Ist das so gemeing das das andauernde anpassen und verstellen ängste so present macht obwohl man es nicht will? Lg chris
Hey Christoph,
ganz genau. Es löst berechtigte Angst aus, wenn du „etwas“ bist, was anderen nutzt. ETWAS zu sein, mag jedoch Nutzen für dich und andere haben. Dir kann es z. B. Zugehörigkeit oder Bedeutung/Wichtigkeit bringen, für andere etwas anderes. Mit deinem wahren Selbst hat es aber nichts zu tun, sonst würdest du dich ja nicht verstellen. Aber bitte nicht missverstehen: Die Ängste sind nicht SOFORT weg. Je stärker man seine Grenzen und Werte wahrt, desto mehr spürt es das Umfeld und wird sein Verhalten anpassen. Die, die es nicht tun, können weg. Wenn ich meine Wut herausließ und Menschen meine Grenzen aufzeigte, hatte ich oft mehr und stärkere Panik als vorher. Aber sie ebbte entsprechend ab und entließ die Wutenergie in meinem Körper, was wiederum meinen Körper und Geist stärkte. Nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig.
Sei, wer du bist.
Liebe Grüße,
Janett
Ok aber ich denke es ist schwer sich nicht zu verstellen , ich tu mir bei der arbeit hierbei sehr schwer denn da kann man nicht so sein wie man will (denke ich mir halt) und deswegen geht es mir bei der arbeit abundzu nicht so gut ! Aber es ist ja nicht gut wut rauszulassen laut eckhart tolle ? Oder ?
Hallo Chris,
eben weil du denkst, du könntest in deinem Job nicht authentisch(er) sein, macht es deinem Kopf Angst. Aber das wird sicher nicht die einzige Ursache sein. Wenn du auf der Suche nach einer Meinung bist, wie du mit den unangenehmen Gefühlen umgehst, wirst du verschiedene finden und musst dich zwangsläufig für eine entscheiden, indem du sie für dich prüfst. Passt die eine, vorgeschlagen von X? Passt sie vielleicht besser im Privaten als die von Y? Ich kenne Tolles Arbeit und meine, dass er sagte, dass es um den Umgang mit Wut ginge, der weise sein solle. Seine Gefühle herauszulassen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass du wie irre auf Arbeit herumbrüllen oder in alle Richtungen meckern sollst :0). Vielmehr ist gemeint, dass du einen vernünftigen Weg findest, z. B. die Energie aus deinem Körper entlässt, indem du Kraft- oder Ausdauersport machst, Kickboxen oder in die Luft trittst, so wie ich es tat. Die Natur ist ein guter Ort, um wieder zu sich zu finden. Aber der Weg über offene und gewaltfreie Kommunikation im Job könnte der bessere für dich sein. Denn so würde sich weniger ansammeln, was du im Feierabend loslassen müsstest. Es gibt sehr gute Bücher dazu, Stichwort: Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg.
Noch eine Anmerkung in Bezug zu Achtsamkeit und dem Leben im Hier und Jetzt: Die buddhistische Lehre sagt nicht, man solle nicht wütend sein. Sie haben keinen Weg vorgegeben, wie man was mit der Wut macht oder dass man keine haben soll. Thich Nhat Hanh sagte beispielsweise: „Buddha hat uns nie angewiesen, unsere Wut zu unterdrücken. Er hat uns gelehrt, in uns zu gehen und uns fürsorglich um sie zu kümmern. Wir können nicht sagen „Geh weg, Wut … Ich will dich nicht.“ Wir erkennen sie so, wie sie ist, und lächeln.“ Es ist also eine Betrachtung und Akzeptanz deiner Wut, woher sie kommt und was sie auslöste, wer dich getriggert oder verletzt hat (falls es eine Reaktion auf eine Verletzung ist), wieso dein System denkt, dass Situation X ein Fall für Selbstbehauptung wäre usw.
Schau mal, ob du dich und deine Wut oder dein Selbst im Job hinterfragen kannst, was dich dazu veranlasst, zu denken, dich verstellen zu müssen, wer vielleicht eine Maske von dir erwartet und wozu, welche Ängste (anderer) hinter ihren Erwartungen an dich stehen, die du spürst, weswegen du mit Unauthentizität reagierst und wozu du so reagierst, was du dir also davon versprichst. Das wäre – ohne, dass ich deine spezifische Situation kenne – der erste Schritt, den ich stets ging/gehe. Wohlgemerkt ist das mein Weg. Bitte prüfe, ob er auch für dich eine Lösung bereithält.
Viel Erfolg!
Janett