Beziehungsangst & Bindungsangst: Wenn Liebe Angst macht
Die Liebe macht vielen Menschen Angst: Entweder scheuen sie die Partnersuche, gehen eine Beziehung ein, die zum Scheitern verurteilt ist, zum Beispiel eine heimliche Beziehung oder heimliche Affäre. Oder wir verlieben uns in Männer und Frauen, die unerreichbar und emotional nicht verfügbar sind. Sie haben eine Bindungangst aufgebaut, basierend auf einem unsicheren oder ängstlich-vermeidenden Bindungsstil, der entweder von den Eltern geprägt wurde oder aber durch eine frühere Partnerschaft. Die Betroffenen sind nicht nur die, die leiden. Auch die, die das Leid (bewusst oder unbewusst) produzieren, sind Betroffene.
Besonders oft trifft es Frauen, die an gebundene Partner geraten oder ungewollte Geliebte werden, selbst fremdgehen und zweifeln, ob eine Trennung vom eigentlichen Partner richtig wäre. Bei ihnen fällt auf, dass sie sich zu verfügbaren Partnern oft nicht hingezogen fühlen. Männer hingegen finden sich nach aktuellem Stand selten in einer untreuen Beziehung. Hingegen aller Klischees ist Untreue nicht hauptsächlich auf sexuelle Gelüste zurückzuführen. Es ist meist die eigene Untreue sich selbst gegenüber, die man Tag für Tag in seiner Beziehung begeht. Eine Affäre ist dann der Ausdruck im Außen. Wenn man den Partner oder die Partnerin betrügt, dann weil es ein Thema gibt, das verdrängt oder nicht angesprochen wird.
So ergeht es auch Frauen, die mit Männern, deren Herz wie aus Stahl erscheint, vom Leiden durch Beziehungsangst betroffen sind. Menschen, die viel einstecken, geben und opfern, treffen übermäßig hoch auf Partner, die schon zu Anfang der Beziehung Anzeichen von aktiver Bindungsangst aufzeigten, indem sie Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz hatten. Gab es viel Nähe oder wurde sie erwartet, zogen sie sich schnell und scheinbar grundlos zurück. Gerade in den ersten Wochen der Partnersuche sind diese Merkmale weit verbreitet und bekam im englischsprachigen Raum den Namen Ghosting. Benching hingegen beschreibt Menschen, die nur solange mit jemandem zusammen sind, bis sie einen vermeintlich besseren Partner treffen. Man „parkt“ bis dahin seine Optionen.
Die Angst vor Liebe
Laut Dr. Lisa Firestone, eine renommierte Expertin im Bereich der Angst in Liebe und Beziehungen, gibt es mehrere Gründe, wieso sich Menschen vor Liebe fürchten. Schon das Verliebtsein kann erste Ängste auslösen und jemanden dazu bringen, sich nicht auf eine Beziehung einzulassen, sondern sich zurückzuziehen. Es sind in einem Menschen wütende Abwehrmechanismen der Angst, die uns vor etwaigen Verletzungen schützen wollen. Ich vergleiche Angst gern mit dem Symbol des Türstehers, einem Schwellenwächter, der genau prüft, wer hineingelassen wird und wer nicht. Doch oft ist dieser Wächter voller falscher Glaubenssätze über die Person, die er vor Schmerz bewahren will, und trägt entsprechend viele falsche Illusionen über Liebe und Beziehungen in sich. Besonders über Nähe, Intimität (sexuelle und emotionale) und sichere, geborgene Beziehungsumgebungen hat der Wächter tief geprägte Vorstellungen in Bezug zu seinem Schützling:
„Für ihn/sie gibt es keine Liebe.“
„Er/Sie ist nicht beziehungsfähig.“
„Er/Sie ist ein Arsch oder wird in Beziehungen zu einem.“
„Er/Sie wird immer nur ausgenutzt.“
„Frauen und Männer sind unsicher.“
„Liebe gibt es nicht.“
„Beziehungen halten nicht.“
„Wenn er/sie in einer Beziehung ist, findet der andere Partner schnell Gründe, um ihn/sie einzuengen oder zu verlassen.“
„Es gibt in Beziehungen keine Freiheit für ihn/sie. Beziehungen sind Käfige.“
usw.
Woher kommt die Angst vor Nähe und Intimität wirklich? Was hält jemanden davon ab, Liebe zu wollen und Beziehungen einzugehen?
1. Liebe macht verwundbar. Eine neue Beziehung bringt (noch) unbekannte Aspekte ins eigene Leben und damit Risiken. Sich zu verlieben kann schon ein Risiko sein, aus Angst vor Verletzungen. Vertrauen wir einem neuen Partner, erlauben wir auch, uns zu beeinflussen, was uns verletzbar macht. Einige Menschen mit großen Bindungsängsten würden hier das Wort „ausgeliefert“ verwenden. Je mehr sie sich verlieben, desto mehr hat die andere Person Macht über einen. Das stellt wichtige Schutzmechanismen (persönliche Grenzen) in Frage, die man oft über Jahre hinweg aufgebaut hat. Immerhin erlauben uns unsere Gewohnheiten, dass wir uns auf uns selbst konzentrieren können bzw. uns abschotten (Distanz). Doch es sind unsere Gewohnheiten, die der neuen Beziehung zugunsten eine Veränderung erfahren. Manche müssten gar abgelegt werden.
2. Eine neue Liebe & Beziehung kann frühere Verletzungen wachrufen. Wie sehr uns unsere Vergangenheit beeinflusst hat, können wir oft nicht erahnen. Was frühere Beziehungen in uns ausgelöst haben und welche Verletzungen sie mit sich brachten, vor allem in der Kindheit, beeinflusst, wie wir Liebe, Beziehungen und Menschen wahrnehmen, von denen wir Nähe zulassen. Unsere Erfahrungen steuern zudem unser Verhalten in Liebesbeziehungen. Misstrauen wegen alter und nun unbewusster Beziehungserfahrungen machen es schwer, sich für neue Liebe zu öffnen. Man vermeidet dann Intimität jeder Art, um alte Verletzungen, Verlust, Wut, Traurigkeit und Ablehnung nicht erneut zu erleben.
3. Liebe bedeutet eine Herausforderung für unser altes Ich. Das unterschwellige Gefühle, nicht genug, gut oder liebenswert zu sein, kennen viele. Dass sich jemand ernsthaft (mit allen Stärken und Schwächen) für einen interessieren könnte, ist für Personen mit einem niedrigen Selbstwert schwer zu glauben. Der innere Kritiker flüstert ihnen, sie wären wertlos oder hätten kein Glück verdient. Das rührt meistens von schmerzhaften Kindheitserfahrungen her. Aus ihnen entstanden negative Meinungen über die eigene Person. Die Psychologie geht davon aus, dass es vor allem an den Gefühlen der Eltern lag, die sie über sich selbst hatten, die „internalisiert“ wurden. Als Erwachsene haben sich solche destruktiven Einstellungen dann verselbstständigt: Man hat begonnen, sie zu glauben und als die eigenen anzunehmen. So beziehungsschädlich und schmerzhaft diese frühen Ansichten sind: Sieht eine neue Person uns in einem guten, interessanten, liebenswerten Licht, liebt, umsorgt und wertschätzt uns, können wir uns unwohl fühlen. Wir sind diese Gefühle nicht gewohnt. Solche Personen kennen wir nicht – zumindest blieben sie nicht langfristig. Angst stellt sich ein und lässt uns defensiv werden, weil es unser altes Ich herausfordert.
4. Angst vor Glück. Viele glauben an eine universelle Balance: Mit großem Glück kommt großes Unglück; viel Freude bringt im Anschluss viel Traurigkeit. Gleichzeitig kann es uns traurig machen, wenn wir großes Glück erfahren. Es ruft Schmerz wegen vergangener Erlebnisse hervor, zumindest Erinnerungen und alte, tiefe Traurigkeit, als uns diese vergangene Freude wieder genommen wurde.
5. Jeder liebt anders. Viele Menschen zögern oder werden nervös bei Menschen, die sie zu sehr mögen (oder die einen selbst „zu sehr“ mögen). Es geht hier um das persönliche Empfinden, nicht um das, was ein Außenstehender wahrnehmen würde. Diese Angst vor Erwartungen bringt eine Angst vor Enge und Eingesperrtsein, Gefangensein und Ausgeliefertsein mit sich. Die Sorge, selbst zu verschwinden oder anders werden zu müssen, ist direkt verbunden mit der Angst, man würde die Gefühle des anderen verletzen oder aber selbst zurückgewiesen, wenn man den Erwartungen nicht gerecht wird. In Wahrheit ist Liebe sehr oft nicht deckungsgleich, besonders ihr Ausdruck. Gedanken und Gefühle kommen und gehen und können sich schnell ändern. Bei hohen Erwartungen oder Schuldgefühlen wegen der „intensiven“ Liebesgefühle des Partners (oder seiner eigenen) sabotiert man sich in der Entwicklung von Gefühlen.
6. Beziehungen verändern das soziale Umfeld und Leben. Beziehungen symbolisieren Unabhängigkeit und Individualität. Sie nehmen Zeit und Raum ein, der vorher anderen vorbehalten war. Sei es die Familie, der Job oder Freunde: Kompromisse werden mit einer Partnerschaft nötig. Wir werden weniger Zeit für liebe Menschen/vorher Geliebtes haben und gleichzeitig auch weniger Raum, der dafür zur Verfügung steht. Besonders aber lassen wir (stückweise) emotional los. Wir brauchen weniger, geben weniger geben. Wir erlauben zudem einem anderen, den Platz einzunehmen, der vorher eventuell Kompensationen (Beruf, Sport, viele Freundestreffen, starker Familienbund statt Partnerschaft) gehörte.
7. Liebesbeziehungen lassen Existenzängste aufkommen. Je mehr wir besitzen, desto mehr können wir verlieren. Je mehr wir lieben, desto größer ist Angst, diese Person zu verlieren. Verlieben wir uns, werden wir mit Verlustangst konfrontiert. Unser (vorheriges) Leben bekommt mehr Wert und Bedeutung. Der Gedanke, das alte Leben zu verlieren, schürt die Angst vor Selbstverlust – eine existenzielle Angst. Meistens gehen Menschen mit starken Selbstverlustängsten eher oberflächliche Beziehungen ein oder sie brechen Streit vom Zaun, nennen z. B. den Job als Grund, wieso sie keine Zeit haben oder sie haben andere Gründe, wieso ein Leben ohne Partnerschaft besser (für sie) wäre. Der wahre Grund ist aber eine tiefe Verlustangst.
„Die Liebe […] nicht kontrollierbar, spontan, kreativ, bringt uns in einen großen Widerspruch. Einerseits sind wir besetzt von ihr, durch sie gefangen, ihr ausgeliefert bis zu dem Gefühl, wir seien bloßer Spielball unserer Liebessehnsucht und den damit verbundenen Wünschen wehrlos ausgesetzt. […] Andererseits kann die Liebe uns größte Freiheit bringen, wenn wir mit ihr in Beziehung treten.“
aus: Verena Kast „Vom Sinn der Angst“
Bindungsangst und Beziehungsangst, Untreue, unzufriedene Beziehungen, Angst vor Nähe und Trennung, On-Off-Dynamiken und heimliche Affären
Als ehemalige Beziehungsängstliche widme ich mich seit Jahren Frauen und Männern, die Schwierigkeiten mit bindungsängstlichen (Wunsch)Partnern haben. Es ist eine besondere Herausforderung, Ängste des Partners zu navigieren. Nicht selten macht es einem selbst ungeheure Angst. Alte Verletzungen und Verluste kommen wieder hoch und bringen dich zum Schweigen statt zum selbstbewussten Sprechen und Handeln. Du weißt nicht, wie dir geschieht, was du tun darfst und was nicht – weil dein (Wunsch)Partner seine Angst vor einer Beziehung und Liebe nicht überwindet. Ich weiß, wie groß das Leiden auf der Seite der Partner ist.
Ich habe es mir deshalb zur Aufgabe gemacht, Aufklärungsarbeit zu leisten und gleichzeitig Unterstützung mit Informationsprodukten über Liebe & Angst zu gewähren – damit es Menschen wie dir besser geht. Damit eure Beziehung erhalten bleibt – oder zustandekommt. Als der Part, der selbst einmal diese Angst vor Bindungen spürte, weiß ich, was in einem vorgeht – und was man braucht, damit die Angst schwindet und stattdessen Vertrauen wachsen kann.
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