„Hätte ich/er/sie nur…“ und „Wenn ich/er/sie doch nur…“ sind zwei beliebte Satzanfänge, wenn wir bereuen, dass die Welt, ein Umstand, ein Mensch oder gar wir selbst eine vermeintlich falsche Entscheidung fällten. Ob Arbeitgeber, Chef, Kunde, potenzieller Partner, Freund/Freundin, Familienmitglied oder schlichtweg das Leben: Zu oft erscheint etwas unfair und nachteilig, wenn uns das Leben, so wie es ist, nicht ausreicht. Ein kleiner Strohhalm, der uns Hoffnung gab, kann uns dann leicht Kopfschmerzen, Angst und Trauer bereiten.
Doch was bringen Schuldgefühle oder Reue wirklich? Ein kurzer Artikel über Loslassen vermeintlichen Glücks, verpasster Chancen und das Vertrauen ins Leben.
Reue: Wie dein Leben heute aussähe, wenn xyz geschehen wäre…
Es gibt diesen Spruch, dass ein einzelner Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auf der anderen Seite der Erde auslösen könne. Er birgt viel Raum für Reue. So destruktiv, wie dieser Spruch es sieht, sehe ich das Leben sowie eigene und fremde Entscheidungen nicht. Wie es auch verläuft, alles wird schöne und weniger schöne Dinge hervorbringen – vielleicht in Form von Lernaufgaben oder als Impuls zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung. Die Krux an Entscheidungen, gleich ob wir sie treffen oder jemand anderes, liegt eher in unserer Interpretation. Wir sind auf die Minimierung von Schmerz getrimmt. Wir wollen Leid verkleinern oder ganz beseitigen.
Ich habe früher viel bereut und war entsprechend oft traurig darüber, wie die Dinge verlaufen waren oder wie ich mich entschieden hatte. Spätestens mit meiner Angststörung 2013 änderte sich das. Denn da begann ich mich zu fragen, wieso mein Körper und Geist wollten, dass es mir schlecht ginge. Am Ende stand fest: Sie wollten das gar nicht. Es sollte nur etwas auslösen, was ausgelöst werden sollte. Wäre ich 2013 gesund geblieben, gäbe es diesen Blog nicht, meine Bücher nicht, mein jetziges Leben mit meiner Selbstständigkeit genauso wenig wie wenigstens 50 % der Beschaffenheit meiner Gedanken, Gefühle und folgenden Handlungen.
Ich kämpfte irgendwann nicht mehr gegen meine Angst, sondern gegen das, was mir Angst machte. Nein, nicht die Panikattacken oder Agoraphobie, sondern das, was mich dazu verleitete: Wut, Trauer und Reue darüber, dass sich jemand, in den ich verliebt war, gegen mich entschieden hatte; Trauer und Reue darüber, dass meine Mutter und ich ein wichtiges Familienmitglied verloren hatten; Wut, Trauer und Reue darüber, dass mein Leben beruflich nicht so verlief, wie ich es jahrelang mit Kampf und Schweiß verlaufen sehen wollte; Wut, Trauer und Reue darüber, dass ich Freunde während meiner Angststörung verlor.
Schlussendlich fragte ich mich, was so gut daran gewesen wäre, wenn nichts davon geschehen wäre: Mein Familienmitglied hätte kein sehr schönes Leben geführt und wir hätten ihr dabei zusehen müssen; ich wäre mit einem Mann zusammen, der von Treue wenig hält, weil er mit Beziehungen Schwierigkeiten hat; ich hätte „Freunde“, die mich in Zeiten persönlicher Not zur Verantwortung ziehen, weil ich ihren Bedürfnissen nicht mehr nachkommen kann; ich wäre in einem Job, der meinen Kopf nicht fordert und in dem ich mit meinen Fähigkeiten nichts Gutes bewerkstelligen kann.
Glaube kann gegen Reue helfen
Nach meiner Angststörung verstand ich, dass der Glaube an etwas/jemanden uns in dunklen Stunden der Zweifel und Traurigkeit helfen. Gleich, ob du daran glaubst, dass
- es die Wege deines Gottes sind
- karmische Verstrickungen wirken
- Engel dich leiten
- der Zufall es so wollte
- das Universum dein Wirken steuert
- das Schicksal es so bestimmt
- dich andere beherrschen
- du etwas aussendest, was sich widerspiegelt,
- oder die Dinge einfach so sind, wie sie sind:
Einige Dinge geschehen und einige Dinge geschehen nicht. Oder wie Werner Ablass sinngemäß sagt: Es gibt keine Opfer und keine Täter, nur Taten. Es gibt seither in meinem Leben kein Falsch und kein Richtig mehr. Denn jede vermeintlich noch so falsche Richtung oder Entscheidung wird letzten Endes etwas hervorbringen, was es hervorbringen soll. Vielleicht auf anderem Wege – vielleicht auf einfachere oder schnellere Art und Weise.
Nur dagegen ankämpfen braucht man nicht. Wir alle tun, was wir können. Was wir damals taten und nicht taten, entsprang auch nur unserem Können. Was wir können und was nicht, kann sich jederzeit ändern, wenn wir es zulassen. Hätte mir jemand gesagt, dass meine Angststörung diesen Wald an lebensverändernden Möglichkeiten säen würde, hätte ich schallend gelacht.
Doch diese Erfahrungen haben mich dazu gebracht, dass ich Menschen in ihren Entscheidungen vertraue. Wenn sich heute ein Mann gegen mich entscheidet, vertraue ich darauf, dass es für ihn und damit auch für mich das Bessere ist. Wenn sich heute ein Freund von mir abwendet, vertraue ich darauf, dass es in dem Moment das Bessere für mich und ihn ist. Denn: In Wahrheit können wir nie wissen, was nach dem vermeintlich Schlechten noch an Wundern kommen wird. Wir können nie wissen, was das Gute daran war, dass wir diesen Partner oder diesen Job, diese Wohnung oder diesen Freund nicht für uns gewannen.
Dein Herz weiß bereits um seinen Weg
Immer wenn wir mit unserem Kopf denken, der schlicht versucht, uns vor möglichen Gefahren (die uns bekannt sind und die wir deshalb einzuschätzen wissen!) zu beschützen, vergessen wir das Eigentliche: dass Angst nur ein Hirngespinst und eine simple Entscheidung ist, die unser Gehirn fällt. Statt einen Schritt dennoch zu versuchen, statt einen vermeintlichen Verlust loszulassen, statt zu vertrauen (in Menschen, Umfelder, Situationen, Ereignisse, das Leben, uns), wirbelt uns unser Ego hin und her. Es lässt uns vergessen, dass wir wachsen wollen und dazu bestimmt sind. Es lässt uns vergessen, dass wir beschrittene Wege jederzeit wieder verlassen können, uns umentscheiden und neu orientieren können.
Es ist also egal, ob wir simple Entscheidungen zwischen einem Cheeseburger und einem BigMac treffen müssen oder ob es sich um lebensverändernde Entscheidungen handelt, wie das Verlassen einer Beziehung, seiner Rolle innerhalb einer Familie oder eines Jobs: Alles wird im Endeffekt sein Gutes und sein weniger Gutes vorbringen. Es wird immer auslösen, was ausgelöst werden soll.
Wie wir damit umgehen, wenn es soweit ist, können wir entscheiden, wenn es soweit ist. Bis dahin können wir vertrauen und uns dem Leben so hingeben, wie es es uns ermöglicht. Wir können – leider oder zum Glück – nie definitiv wissen, welcher Schmetterling für uns seine Flügel nicht schlug, damit wir in keinen Orkan geraten würden. Wir wissen nicht einmal, ob nicht wir die Raupe sind, die sich zu einem sturmauslösenden Schmetterling verwandeln wird.
Deshalb uns und dem Fluss des Lebens zu vertrauen, ist in meinen Augen das Beste, was wir tun können.
Liebe Janett Wenzel,
danke für Ihren Blog. Ich denke momentan rückblickend, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben und kämpfe seit gut einer Woche mit einer riesigen Angst.
Ich habe allerdings die Befürchtung, dass die Bewusstwerdung dieser Fehlentscheidung die Angst weiter in mein Leben ziehen könnte (Ich kenne die Angst aus einer früheren Situation).
Das würde ich mich natürlich nicht weiterbringen. Im Gegenteil. Ich muss abwägen, wie die Situation für mich jetzt ist und was sich weiter entwickeln könnte. Die Reue rüber die Fehlentscheidung wird mich nur aufhalten.
Ich danke Ihnen für das was ich gerade gelesen habe. Denn es wirft für mich einen neuen Blickwinkel auf, der mir helfen könnte, zu akzeptieren. Der Umstand, die Entscheidung als Fehler zu betrachten anstatt als Komponente meines Lebensweges, ist grundlegend falsch.
Ich versuche an Ihren Worten festzuhalten und nach vorne zu sehen. Auch wenn ich wahrscheinlich gerade erst am Anfang stehe.
Ich danke Ihnen für diesen Beitrag!!